Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
Frauen gehören ins Haus, war seine Ansicht, und als seine Frau brauchte ich nicht zu arbeiten, das Haus sei genug Arbeit für mich. Ich lehnte mich dankbar an seine breiten Schultern und gab leichten Herzens die Psychologie auf. Vater war stocksauer. Er hat fürchterlich gebrüllt.«
    as Abendessen wurde serviert. »Ich weiß, Susi«, kaute sie, »möchtest du ein Brötchen?« Mit vollem Mund konnte man schlecht reden.
    175
    Aber Susi war nicht abzulenken. »Ralfs Mutter mag mich nicht, ich bin nicht gut genug für ihren Sohn. Zwei Straßen weiter wohnte eine Baroness von Appen, die sie sich als Schwiegertochter auserkoren hatte. Ralf hätte sich dann Popp von Appen nennen können, wie Wolf von Amerongen. Dann aber heiratete das Baronesschen einen Grafen und zog weg, und ich krieg sie dauernd vorgehalten.
    Ständig mäkelte sie an mir herum«, Susi stopfte sich zwischen den Worten das Essen in den Mund, so dass ihre Geschichte durch Kaugeräusche und Grunzlaute unterbrochen wurde, »und dann verlor ich auch noch das Baby.« Kauen, Schlucken, Stöhnen. Sie lehnte sich zurück und starrte ins Leere. »Ich muss dir etwas erzählen, das ich noch niemandem erzählt habe. Bitte behalte es für dich.« Gerne hätte Henrietta gesagt, nein, bitte nicht, Susi, wir kennen uns nicht gut genug für derartige Vertraulichkeiten, aber etwas in den abgründigen braunen Augen hielt sie davon ab. Es waren die einer Ertrinkenden, die in den Trichter eines Strudels gerissen wurde. So schwieg sie.
    Susi ergriff ihre Hand, schmiegte ihr Gesicht hinein. »Seit meinem vierzehnten Lebensjahr sind da diese schwarzen Löcher«, flüsterte sie fast unverständlich,
    »schwarze, bodenlose Löcher, die tief in meinem Innersten lauern, in den dunklen Regionen, die keiner außer mir erreicht. Ohne Vorwarnung, an den schönsten, heitersten Tagen, steigt eine schwarze Flut in mir auf. Sie wäscht über mich hinweg, zieht mich hinunter, ihr Sog ist sanft, aber kraftvoll, unwiderstehlich, und ich folge ihr willenlos.«
    Im Erzählen veränderte sich ihre Sprache, wurde zu dem Singsang einer orientalischen Märchenerzählerin, mit dem sie alle in ihren Bann zog.
    »Schwarze Fluten?«, fragte der bodenständige, geradlinig-mathematisch denkende lan hinter ihnen ungläubig, »Susi, hast du getrunken?«
    Susi drehte sich um. »Natürlich nicht!«, fauchte sie. Als sie weitererzählte, floss ihre Stimme wieder wie Honig. »Es genügt der schmerzlich-süße Gesang eines Vogels«, hauchte sie, »und diese ge-176
    föhrliche Sehnsucht ergreift von mir Besitz.« Sie schlang ihre Hände
    •neinander. »Es geschah zum ersten Mal in dem Frühling, als ich vierzehn Jahre alt wurde. Eine Freundin, die eine unirdisch schöne cingstimme hatte, lehnte an einen Baum im Schulhof und sang ein Lied das Schauer über meine Haut sandte und mir Tränen in die Augen trieb. Damals verstand ich die Sehnsucht nicht, die mich zu verschlingen trachtete.« Eine sorgfältig gesetzte, kurze Pause, ein kaum hörbarer Seufzer. Susi hatte ihr Publikum im Griff. »Dann stand ich eines Tages auf dem Teufelsbrück-Anleger an der Elbe. Es war schon dämmrig, der Fluss unter mir strömte dunkel. Eine Singdrossel ließ ihr klares Lied in den hellen Abendhimmel steigen.« Sie schwieg. Tränen sammelten sich in ihren Augenwinkeln. Henrietta hörte die Drossel singen, roch das ölige Wasser, und sie sah Susi, damals schmal und zart, am äußersten Ende des geländerlosen Schiffsanlegers stehen, dort, wo die Elbe besonders stark strudelt, die Strömung reißend ist. Eine gefährliche Stelle! Sie setzte sich auf, legte die Gabel hin. Das klang unheilvoll! »Die Flut in mir hob sich laudos, lockte mich tückisch mit Frieden und süßer Ruhe. Als sie über mir zusammenschlug, lockerte ich meinen Griff an der Wirklichkeit und ergab mich dem Gefühl des Fallens und Vergessens.« Ihr Atem war tief, ihre Lider waren geschlossen. »Da packten mich kräftige Hände von hinten, ich hörte die Stimme eines Mannes. Nun, nun, Frolleinchen, rief er, was machen Sie denn da? Ich spürte raues Tuch, roch ein Gemisch von Motorenöl und Zigarette. Er bestand darauf, mich nach Hause zu bringen.« Sie schlug die Augen auf. »Ich hätte fast dieses Leben verlassen, ganz nebenbei, ohne eine Entscheidung getroffen zu haben.« Susis Ton war völlig ausdruckslos, und Henrietta bekam eine Gänsehaut. »Seitdem ich mein Baby verlor, passierte es immer häufiger. Ich nahm kleine grüne Pillen, die die Höhen und Tiefen

Weitere Kostenlose Bücher