Liebe läßt alle Blumen blühen
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Jeder, der Kathinka Braun zum erstenmal begegnete, war von ihr fasziniert.
Das galt natürlich nur für die Männer; Frauen betrachteten sie mit anderen Augen. Es war so vieles an ihrem Wesen, an ihrem Körper, an ihrer Erscheinung und ihrer Ausstrahlung, was andere Frauen mit Neidgefühlen betrachteten. Daß ihre Kleidung von sportlicher Eleganz war, nahm man noch hin, daß sie mit dreißig Jahren ihre kastanienfarbenen Haare offen und schulterlang trug, empfand man als übertrieben jugendlich. Daß sie einen italienischen Sportwagen fuhr und ein Luxusappartement in einem der teuersten Häuser von Hannover bewohnte, mußte man akzeptieren, denn irgendwie mußte Kathinka ihr Geld ja anlegen. Und Geld besaß sie! Sie hatte es nicht geerbt, nicht erheiratet und auch nicht von einem reichen Freund – was man ihr gern angehängt hätte –, sondern sie verdiente es sich ehrlich und schwer in einem Beruf, in dem sie gegen übermächtige männliche Konkurrenz ankämpfen mußte: Kathinka Braun war Architektin.
Nicht Innenarchitektin, nein, sie baute Hochhäuser, Wohnblocks, ganze Verwaltungsanlagen und ab und zu – zum künstlerischen Ausgleich gewissermaßen – auch exklusive Villen auf Sylt, am Plöner See, im Schwarzwald, am Bodensee, in den Bayerischen Alpen. Es waren ihr räumlich keine Grenzen gesetzt; bei den Menschen, die sich so etwas leisten konnten, war der Name Kathinka Braun ein Markenartikel. Man erkannte ein ›KB-Haus‹ auf den ersten Blick: Neben der Eingangstür war ein goldenes KB in die Wand eingelassen. Ein Qualitätssiegel der künstlerischen Phantasie. Natürlich nannten alle ›Damen der Gesellschaft‹ dieses goldene KB ›affig‹. Einen Gipfel der Selbstbeweihräucherung! Denn dieses KB klebte auch am Armaturenbrett ihres Sportwagens, hing in Gold, mit Brillanten umkränzt, als Medaillon um Kathinkas schönen Hals und kehrte auf jedem Briefkopf wieder. In Hannover munkelte man, daß die Ehe des Fabrikanten Heinrich Schneller nur deswegen geschieden worden war, weil Frau Schneller während einer Auslandsreise des Direktors das ›KB‹ neben der Haustür herausmeißeln ließ.
Munkeln war überhaupt immer um Kathinka Braun, es umschwebte sie wie ein unsichtbarer Nebel, es flog ihr voraus wie ein Erkennungsduft; jedoch diese erfolgreiche Frau, diese kühle Schönheit, bei deren Anblick die Männer zu brennen begannen und sich die Augen ihrer Frauen verengten, hatte nie Anlaß zu gesellschaftlichem Klatsch gegeben. Keine Affären, keine Liebhaber, keine heimlichen Treffs – es war unheimlich! Ihr Architekturbüro beschäftigte 23 Männer, von denen 17 jene männliche Ausstrahlung besaßen, die andere Frauen nicht kühl gelassen hätte. Im Laufe ihrer Tätigkeit in Hannover waren ungezählte Bauherren ihre Gäste gewesen, aber immer wurde das Lauern ihrer Umgebung enttäuscht. In Kathinka Brauns Leben gab es offensichtlich keinen Mann.
Das war ein Irrtum. Es gab einen guten Freund. Herbert Vollrath hieß er und war Dozent an der Staatlichen Architekturschule. Er war ein großer breitschultriger Mann, der ab und zu an Sonntagen mit einem Blumenstrauß in Kathinkas Appartement erschien, mit ihr eine Flasche Sekt trank, auch mal einen Kognak, einen spanischen Lepanto, der ihm besser schmeckte als der französische, und dann mit ihr über moderne Architektur oder über Opernaufführungen und Konzerte plauderte. Viermal in sechs Jahren – so treu war Herbert Vollrath – setzte er an und sagte: »Kathi, das ist doch kein Zustand! Wir kennen uns gut genug, so gut, daß wir sagen können …«
»Nein!«
»Was heißt ›nein‹?«
Sie brachte ihn mit einem Wort aus dem Konzept.
Dann kam immer wieder die gleiche Antwort: »Weil wir uns so gut kennen, Herbert, sollten wir den Gedanken aufgeben, daß zwischen uns mehr sein könnte als eine wirkliche Freundschaft. So etwas gibt es ganz selten zwischen zwei Menschen. Ich liebe meinen Beruf …«
»Du solltest ihn doch nicht aufgeben.«
»Herbert, du dozierst an der Hochschule, ich baue Wohnmaschinen … Und dann sind wir abends zusammen, gähnen uns an, klagen uns unsere Alltagssorgen vor, beladen den anderen mit Problemen, gehen ins Bett, lesen noch ein paar Minuten und schlafen mit der Brille auf der Nase ein! Eine ideale Ehe, nicht wahr?«
»Und du hast keine Sehnsucht, dein Leben einmal anders verlaufen zu lassen? Kathi, du bist doch eine Frau! Eine wunderschöne Frau dazu …«
»Danke.«
»Du weißt genau, daß kein Mann an dir
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