Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
und füllte die beiden Gläser. “Zum Wohl”, sagte sie und stürzte den Inhalt ihres Glases in einem Zug herunter. Da sie, abgesehen von einem Glas Wein hin und wieder zum Dinner, niemals trank, spürte sie sofort, wie ihr der Alkohol zu Kopf stieg. Und die prickelnden Perlen des Champagners schienen direkt in ihrem Magen weiterzutanzen.
Dale lachte. “Hey, Sie Banausin! Champagner kippt man nicht einfach so in sich hinein – man genießt ihn.”
“Ach ja?” Sie ließ zu, dass er ihr das Glas erneut füllte. Diesmal trank sie langsam und bedächtig. “Besser so?”
“Viel besser. Aber ich bin sicher, das können Sie noch besser.”
Nach dem dritten Glas Champagner fühlte Cassie sich sehr merkwürdig. Der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken wie ein Schiff bei starkem Seegang, und ihre Glieder wollten ihr nicht mehr so ganz gehorchen. Sie lachte. “Ich glaube, ich habe einen Schwips!”
“Dann sollten Sie sich ein bisschen bewegen”, riet Dale lächelnd. “Ich weiß! Haben Sie vielleicht Lust zu tanzen?”
“Mit Ihnen?”
Er schmunzelte. “Warum nicht? Ich schwöre Ihnen, ich bin nicht der große, böse Wolf.”
Gemeinsam gingen sie auf die Tanzfläche. Cassie musste sich schwer auf Dale stützen, denn ihre Feinmotorik schien nun endgültig zu versagen. Sie hatte definitiv zu viel getrunken! Kurz fragte sie sich, ob es nicht zu gefährlich war, Dale so nahe zu kommen, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Immerhin hatte sie sich vorgenommen, diesen Abend in vollen Zügen zu genießen – und wie sie das anstellte, war ja wohl allein ihre Sache.
Dale war ein fantastischer Tänzer. Er führte sie so sicher über die Tanzfläche, als hätte er nie im Leben etwas anderes getan. Cassie hatte das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Das Gelächter und die Unterhaltungen der anderen Gäste wurden in den Hintergrund gedrängt, bis sie nur noch die Musik und das Pochen ihres eigenen Herzens vernahm.
Überdeutlich war sie sich seiner Hand auf ihrem Rücken bewusst, und seine Berührung schien wie Feuer auf ihrer Haut zu brennen. Ein berauschend männlicher Duft ging von ihm aus, und für einen Moment schloss Cassie die Lider und genoss die verschiedenen Sinnenreize. Als sie sie wieder öffnete, blickte Dale ihr direkt in die Augen. Sein Lächeln war einfach unwiderstehlich.
Ohne auch nur eine Sekunde über die Konsequenzen ihres Handelns nachzudenken, stellte Cassie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn direkt auf den Mund.
Die Zeit schien plötzlich stillzustehen. Seine Lippen waren so weich und sanft, ganz anders, als sie es erwartet hatte. Sie umschlang seinen Nacken und vertiefte den Kuss – und Dale beantwortete ihn mit ungestümer Leidenschaft.
“Na, so wie’s aussieht, findet wohl schon bald die nächste Hochzeit statt!”
Der magische Moment war vorüber, Dale und Cassie fuhren auseinander.
Cassie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Mit einem Mal fühlte sie sich komplett nüchtern. Was war bloß in sie gefahren? Hatte sie denn völlig den Verstand verloren?
“Ich … Es tut mir leid”, stammelte sie, dann wirbelte sie herum und lief davon.
Seufzend lehnte Dale sich in seinem Schreibtischstuhl zurück, legte den Kopf in den Nacken und starrte gedankenverloren an die Decke. Es war bereits kurz nach drei Uhr morgens, doch an Schlaf war nicht zu denken. Die Rückfahrt von Grisholm nach Svergå war eine regelrechte Tortour gewesen. Weder Cassie noch er hatten ein einziges Wort gesprochen. Doch was gab es auch noch zu sagen, nach dem, was auf der Hochzeitsfeier vorgefallen war?
Cassie hatte ihn geküsst. Es war nur ein kurzer Kuss gewesen, und er war von ihr ausgegangen, doch er hatte ihn ganz eindeutig genossen. Anders ließ sich das wilde Pochen seines Herzens und das Gefühl der Leichtigkeit, das ihn durchströmt hatte, nicht erklären. Der Himmel wusste, was geschehen wäre, wenn Cassie nicht doch noch im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hätte. Wäre er in der Lage gewesen, ihr zu widerstehen?
Dale seufzte noch einmal tief auf. Es ließ sich nicht länger leugnen, dass er sich stark zu Cassie hingezogen fühlte. Ihre Anwesenheit hatte in ihm Dinge wieder zum Leben erweckt, die er längst verloren geglaubt hatte. Immer, wenn sie vor ihm stand, konnte er sich nur mit Mühe davon abhalten, ihr übers Haar zu streichen, sie zu berühren, sie zu …
Hör auf damit! rief er sich selbst zur Ordnung. Er öffnete die oberste Schublade seines Schreibtisches.
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