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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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Sortiment von Rechnungen und Werbesendungen fand ich auch einen großen Umschlag mit dem Absender Archer & Sohn, Rechtsanwälte vor. Ich betrachtete den Poststempel: Grand Manitou Island, ein beliebtes Touristenziel in einem der Großen Seen, zu dem man von meiner Heimat aus das halbe Land durchqueren muss.
    Nun saß ich in meiner Küche, trank Kaffee und drehte den Umschlag unschlüssig in den Händen. Worum mochte es wohl gehen? Was wollte dieser Anwalt von mir? Endlich holte ich tief Atem und öffnete ihn, bereit, mich allem zu stellen, was er enthalten mochte.
    Ich fand darin zwei Briefe vor. Auf einem dicken, cremefarbenen, mit rotem Wachs versiegelten Kuvert standen handschriftlich mein Name und meine Adresse – altmodisch und anrührend wie eine Einladung aus vergangenen Zeiten. Und so war es auch, wie sich später herausstellen sollte. Aber das konnte ich damals noch nicht ahnen.
    Bei dem anderen Brief handelte es sich um ein sachliches, nüchternes Geschäftsschreiben. Diesen Umschlag schlitzte ich zuerst auf.
    Sehr geehrte Ms. James,
    mit großem Bedauern setze ich Sie von Mrs. Madlyn Cranes Tod in Kenntnis.
Ich bin Mrs. Cranes Anwalt und ihrTestamentsvollstrecker.
    Bitte setzen Sie sich möglichst bald mit mir in Verbindung. Es geht um den letzten Willen der Verstorbenen.
    Mit freundlichen Grüßen
    William Archer, Rechtsanwalt
    Madlyn Crane. Der Name kam mir bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Warum bedauerte es dieser Anwalt, mir ihren Tod mitteilen zu müssen? Eine undefinierbare, unerklärlich böse Vorahnung keimte in mir auf, als ich nach dem zweiten Brief griff. Warum hämmerte mein Herz so? Warum zitterten meine Hände? Ich erbrach das Siegel auf der Rückseite des Umschlags, faltete den Briefbogen auseinander und begann zu lesen, wobei mir auffiel, dass das Datum des Schreibens fast einen Monat zurücklag.
    Liebe Hallie,
    vor dreißig Jahren kamen meine Tochter und mein Mann bei einem Bootsunglück in der Nähe unserer Insel ums Leben. Du wirst dir vorstellen können, wie überrascht ich war, als ich erfuhr, dass ihr beide – du und dein Vater – noch am Leben seid.
    Ich weiß nicht recht, wie ich fortfahren soll. Was kann ich meinem einzigen Kind sagen, um das ich so viele Jahre getrauert habe?
    Als ich erfuhr, dass du noch lebst, war ich ebenso vor den Kopf geschlagen, wie du es jetzt sicher bist. Mein erster Impuls bestand darin, sofort zum Telefon zu greifen und dich anzurufen, aber dann wurde mir klar, dass das keine gute Idee war. Ich hatte ja keine Ahnung, was man dir über mich erzählt hat. Hast du zum Beispiel geglaubt, ich wäre tot? Oder ich hätte dich im Stich gelassen? Dein Vater hätte dir ja alles Mögliche weismachen können. Wenn du auch nur andeutungsweise geahnt hättest, dass ich noch lebe, hättest du sicher eine Möglichkeit gefunden, mit mir Kontakt aufzunehmen.
    Deswegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass wir beide gleichermaßen belogen worden sind. Jede von uns hat geglaubt, die andere wäre tot. Wir wurden beide arglistig getäuscht.
    Wie kann eine Mutter von den Toten auferstehen und wieder in das Leben ihres Kindes treten?
    Ich dachte daran, dich zu besuchen, aber einfach
    unangemeldet vor deiner Tür zu stehen schien mir auch nicht ratsam. Ein Brief ist wohl noch die schonendste Art, deine Welt auf den Kopf zu stellen.
    Ich weiß, dass du viele Fragen haben musst, genauso wie ich. Darum werde ich dir jetzt ein wenig über mich erzählen.
    Mein Name ist Madlyn Crane. Ich wohne noch immer in dem Haus auf Grand Manitou Island, in dem du geboren wurdest. Vielleicht ist mein Name dir ja ein Begriff? Ich bin eine recht bekannte Fotografin; eventuell hast du meine Arbeiten schon in Zeitschriften gesehen.
    Ich nehme an, du hast um mich getrauert, während du aufgewachsen bist, hast dich nach einer Mutter gesehnt, die dich sicher durch den Himmel der Kindheit und die Hölle der Pubertät geleitet. Es tut mir unendlich leid, dass ich nicht für dich da sein konnte. Aber, Hallie, all die Jahre, in denen du gemeint hast, ohne Mutterliebe leben zu müssen, hat dich diese doch umgeben, ohne dass du es wusstest. Ich liebte dich schon vor deiner Geburt, ich liebte dich während der verlorenen Jahre, als ich dich für tot hielt, und ich liebe dich auch jetzt. Daran wird sich nie etwas ändern. Obwohl du es nicht ahnen konntest, hattest du immer eine Mutter, die dich mehr liebte als alles andere auf der Welt.
    Ich kann mir vorstellen, dass du dir jetzt

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