Die Knickerbocker Bande - 40 - Die Maske mit glühenden Augen
Der Besuch des Dämons
Es war eine halbe Stunde nach Mitternacht, als Rolf Musmann sein Jausenbrot auspackte.
“Jausenbrot ist eigentlich nicht das richtige Wort dafür. Mein Mäuschen wird sich einen anderen Namen ausdenken müssen”, murmelte er. “Mitternachtsimbiss oder nächtlicher Krafthappen würde die Sache schon besser treffen.”
Rolf Musmann war ein Mensch, bei dem alles seine Ordnung haben mußte. Seine Hosen hatten exakte Bügelfalten, in seiner Geldtasche trug er exakt 300 Franken und seine nächtlichen Touren durch das Museum begann er exakt zur vollen Stunde.
Er war Nachtwächter und nahm seine Arbeit sehr genau. Das Museum - in dem ausschließlich Masken und Dämonenfiguren aus aller Welt gezeigt wurden -verfügte zwar über eine Alarmanlage; da es sich aber weit außerhalb der Stadt befand, hätten Diebe die ausgestellten Kunstschätze garantiert rechtzeitig wegschaffen können, bevor die Polizei eintraf.
Oft war Rolf Musmann schon gefragt worden, ob er sich zwischen den glotzenden Teufelsmasken, den wilden Fratzen der bösen Dämonen, den geschnitzten Drachenköpfen und Monsterschädeln nicht fürchtete. Er hatte immer lässig den Kopf geschüttelt und versichert: “Für mich gibt es keine Gespenster, sondern nur die exakten Zahlen der Mathematik.”
Als er in dieser Nacht gerade in sein Brötchen biß, tauchte vor ihm etwas auf, das mit den Gesetzen der Mathematik nicht erklärbar war. Er verschluckte sich vor Schreck so sehr, daß er exakt viermal heftig husten mußte.
Vor ihm stand eine furchteinflößende Gestalt. Sie trug ein Gewand, das aus verschiedenen Tierfellen genäht war, und hatte eine unheimliche Maske über den Kopf gestülpt. Es war ein verzerrtes, grimmiges Gesicht, aus dessen Maul lange gebogene Zähne ragten. Durch die riesige Knollennase war ein Ring gezogen, und die Augen glichen zwei mächtigen weißen Kugeln.
Das Haar war schwarz und lang und mit bunten Federn, Menschenknochen und einem Totenkopf geschmückt.
Rolf Musmann wollte aufstehen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Hatte er die Gestalt nicht schon einmal gesehen?
Jetzt erinnerte er sich. Es war in einer Sonderausstellung gewesen, die vor zwei Jahren im Museum gezeigt worden war. Sie hatte die grausamen Rituale der Mayas und Azteken zum Thema gehabt. Oder waren es andere Völker gewesen? Dem Nachtwächter war das im Augenblick egal. Er wußte aber, daß auf einem Bild genau dieser Dämon abgebildet gewesen war. Es handelte sich um einen Priester, der einem Sonnengott Menschenopfer darbrachte.
Die Erscheinung schob ein kurzes Blasrohr in das Mundloch der Maske. Es zischte, und Herr Musmann spürte einen Stich am Hals.
Sofort wurde er von schrecklichen Wahnvorstellungen geplagt. Er war nicht mehr im Museum, sondern in einem Dschungel. Er erkannte das üppige Grün und nahm hohe Berge aus. Der Priester und er standen auf der Plattform einer Stufenpyramide. Die Sonne brannte vom Himmel, und am Fuß des Baues lagen Tausende dunkelhäutige Menschen auf den Knien.
Der Priester trat näher zu ihm, und Rolf Musmann wollte weglaufen. Aber er war an einer Säule festgebunden.
Der Priester streckte die Hand aus, um ihm das Herz bei lebendigem Leibe aus der Brust zu reißen.
“Nein!” schrie der Nachtwächter. “Nein! Hilfe!”
In Wirklichkeit wurde ihm in diesem Moment nicht das Herz aus der Brust, sondern der Schlüsselbund aus der Innentasche seiner Uniformjacke gerissen. Es war nicht schwierig, den Schlüssel zu finden, mit dem die Alarmanlage ausgeschaltet werden konnte. Der ordentliche Herr Musmann hatte jeden Schlüssel mit einem beschrifteten Anhänger versehen.
Kaum war die Alarmanlage außer Betrieb gesetzt, lief der Unbekannte im Dämonenkostüm zu einer Vitrine, in der eine Kupfermaske ausgestellt war. Sie war mehr als tausend Jahre alt und stellte ein Gesicht dar, das die Zähne zu fletschen schien.
Geschmückt wurde die Fratze von einem pyramidenförmigen Aufbau und mächtigen Ohrgehängen, die um ein Vielfaches größer waren als das eigentliche Maskengesicht. Da und dort waren auf dem Metall noch Reste von Farbe zu erkennen, und als Augen waren zwei Edelsteine eingesetzt.
Die Vitrine wurde aufgesperrt, die Maske vorsichtig herausgenommen. Dann schloß der Dieb den Glasschrank wieder ab und setzte die Alarmanlage in Gang. Da er Gummihandschuhe trug, hinterließ er keine Fingerabdrücke.
Der Unbekannte brachte dem Nachtwächter den Schlüsselbund zurück und zog ihm einen
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