Insel meiner Sehnsucht Roman
stieg die Sonne empor, die Nebelschwaden lösten sich auf. Das helle Licht versprach einen schönen Tag. Plötzlich wollte er ihn genießen. »Eine Attacke auf Akora würde gute, tapfere Männer zu einem grausamen Tod verdammen. Und Ihr Name, Sir, würde noch in ferner Zukunft wie ein böser Fluch klingen.«
Auf Greys Stirn glänzten Schweißperlen. Geistesabwesend wischte er mit einem Ende seiner makellos geknoteten Krawatte über sein Gesicht. »Keine Ahnung, wovon Sie reden …«
»Letzten Sommer trafen Sie in Brighton einen Mann namens Deilos. Nur deshalb besuchten Sie diese Stadt, in die Sie normalerweise keinen Fuß setzen würden. Er erzählte Ihnen, Akora sei reif für eine Invasion. Zuvor hatte er Sie ausgehorcht und erkannt, wie unzufrieden Sie mit Ihrer Situation waren. Außerdem hatten Sie bereits ein Auge auf Akora geworfen und überlegt, ob das Inselreich Ihren Zwecken dienen würde.«
»Das können Sie unmöglich wissen …« Zwischen Entsetzen und Verwirrung hin- und hergerissen, griff sich Grey an die Kehle. Mochte er auch belesen sein – von Kassandras Gabe, ein drohendes Unheil vorauszusehen, hatte er sicher nichts erfahren.
»Deilos beschloss, Sie zu benutzen, weil er glaubte, die Akoraner würden eine britische Invasion mühelos abwehren. Dazu hatte er allen Grund«, fügte Royce hinzu und zeigte auf die Flammen. »Außerdem hoffte er, mit einer Demonstration des Griechischen Feuers die Außenwelt von Akora fern zu halten, den Vanax Atreus zu stürzen und selbst die Macht zu übernehmen.«
So schockiert Grey auch war – sein Verstand funktionierte immer noch. Langsam sagte er: »Also war es Deilos, der Sie gefangen hielt, Hawkforte.«
Royce nickte. »Inzwischen ist Deilos im Gefängnis gelandet. Er wird sich vor Gericht verantworten müssen. Auch seine Anhänger sitzen hinter Gittern, die meisten sind verwundet. Zuvor wurden viele während eines Kampfes getötet.«
»Dabei hatten Sie vermutlich Ihre Hand im Spiel, Sir.«
»So könnte man es nennen. Hören Sie mir zu. Ich glaube zu verstehen, warum Sie solche Pläne ausgeheckt haben. Aber jetzt müssen Sie einsehen, dass ein solcher Angriff nur zu einer Katastrophe führen würde. Ihre Ideen, die gewisse Reformen betreffen, erscheinen mir richtig. Lassen Sie sich Zeit. Wenn Ihnen das Schicksal gewogen ist, werden Sie eine Gelegenheit finden, Gutes zu tun, statt eine Tragödie heraufzubeschwören.«
Die undurchdringliche Maske, die Grey für gewöhnlich zur Schau trug, existierte nicht mehr. Jetzt zeigte sich der Mann, der er wirklich war – erfüllt von edlen Träumen, aber auch mit allzu menschlichen Fehlern behaftet. »Dieses Land hat der Welt etwas Wunderbares, Dauerhaftes zu bieten. Davon bin ich fest überzeugt. Um das zu erreichen, müssen wir stark sein. Die verdammten Kolonien haben wir verloren. Vielleicht werden wir sie zurückgewinnen – oder auch nicht. Entschlossen bekämpfen wir Napoleon, der die Welt verschlingen will, wir haben einen verrückten König, einen trunksüchtigen Regenten. In der Bevölkerung breitet sich eine immer größere Unruhe aus, eine Revolte droht. Wir stehen am Rand eines Abgrunds!«
»Nein«, widersprach Royce in ruhigem Ton, »der Boden unter unseren Füßen ist fester, als Sie glauben, Sir. Und es gibt sehr viele Menschen, die sich ernsthaft um eine bessere Zukunft bemühen. Aber Stärke ohne Ehre – das wäre eine Schwäche, die uns vernichten würde. Die Akoraner wollen Freundschaft mit uns schließen. Begnügen Sie sich damit.«
Grey holte tief Atem. Allmählich ließ seine innere Anspannung nach. Er hatte gesehen, was eine Invasion von Akora bewirken würde. Noch wichtiger – er hatte akzeptiert, welch verheerende Folgen ein solcher Angriff nach sich ziehen würde, und so hauchte die rote Schlange ihr Leben aus.
Mehr gab es nicht zu sagen. Royce wandte sich ab. Plötzlich spürte er wieder jene schreckliche Leere in seiner Brust.
»Warten Sie, Sir!«
Zögernd drehte er sich um. Vor dem Hintergrund der verkohlten Wiese wirkte Grey kleiner als in den eleganten Salons. Aber nun kehrte die Farbe in seine Wangen zurück, und er straffte die Schultern. »Es stimmt, was man sagt – Hawkforte ist der Schild des Throns.«
Müde lächelte Royce. »Diese Worte stammen von einem König, und er sprach sie aus, um einem meiner Ahnen zu schmeicheln. Doch er irrte sich. Meine Familie ist Englands Schild. Und das wird sie immer bleiben.«
Nun zerteilte sich der letzte Nebel und gab den Blick auf
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