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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Eisen an Spitze und Ferse hätte beschlagen lassen, wie es in den 50er-Jahren
bei Halbstarken mal in Mode gewesen war. Um diese Tageszeit war er gewöhnlich auf
dem Weg zur Teeküche am Ende des Ganges. Jung erschrak daher, als seine Tür ohne
vorheriges Anklopfen aufgestoßen wurde und Holtgreve ungefragt und ohne langes Zögern
auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch Platz nahm.
    Holtgreve war klein, nicht dick, aber kompakt
und drahtig. Sein Schädel war bis auf einen silbrigen Haarkranz spiegelblank. Er
bildete sich etwas darauf ein, nie krank zu sein (in Wirklichkeit war er sehr selten
krank, aber dann ernstlich). Sein Auftreten und seine Garderobe suggerierten seiner
Umgebung, dass er in der allernächsten Sekunde bereit war, vor den Polizeipräsidenten,
den Innenminister oder den Papst zu treten, um Orden, höhere Ämter oder letzte Weihen
zu empfangen.
     
    »Morgen, Jung«, begrüßte ihn Holtgreve freundlich. »Ich hab Sie schon
sehnlichst erwartet. Das soll keine Kritik sein. Sie wissen ja, ich bin immer etwas
früher hier. Mein Morgentee in der geliebten Bürotasse und die Zigarette ohne die
nervenden Nichtraucher sind mir heilig. Genug davon, Sie sind ja da.« Er strich
sich mehrmals über den kahlen Schädel und steckte die rechte Hand in die Jackentasche,
als wolle er dort etwas finden, was er den ganzen Morgen schon vergeblich gesucht
hatte.
    Jung stutzte: Reden von dieser Länge und den
jovialen Ton entre nous war er vom Leitenden nicht gewohnt. Der begrüßte seine Leute
morgens eher mal mit der freundlichen Bemerkung, sie sähen aus wie aus dem Gepäcknetz
gefallen. Im Übrigen waren Anweisungen im Telegrammstil und Befehlston seine große
Stärke. Deswegen erwiderte Jung vorsichtig, aber interessiert: »Wenn Sie nicht zu
mir gekommen wären, hätte ich mich bei Ihnen gemeldet. Den vorliegenden Fall haben
Sie mir ja schon telefonisch ans Herz gelegt, und ich hätte natürlich mit Ihnen
Rücksprache gehalten, bevor ich irgendetwas unternommen hätte.«
    »Gut. Richtig. Gefällt mir. Ich sehe, wir sind
da konform.«
    Das war wieder original Holtgreve-Sprache,
wenngleich ihm sonst nicht so viel Lob über die Lippen kam. Es signalisierte, dass
der Leitende unter Druck stand und sich entspannte, nachdem sich Jung wider Erwarten
fügsam zeigte.
    »Leise und diskret arbeiten. Keine Kritik,
bitte. Das ist Fakt. Kommt von ganz oben«, fuhr er eindringlich fort.
    »Ich glaube, ich lese erst einmal den zusammenfassenden
Bericht und mach mir ein grobes Bild von …, ja wovon denn? Noch weiß ich von gar
nichts. Bevor ich in die Einzelheiten einsteige und konkrete Schritte vorbereite,
werde ich mich mit Ihnen absprechen«, beschwichtigte Jung seinen Chef noch einmal.
    »Gut. Sehr gut. Bin immer für Sie da. Schön,
dass Sie es sind. Sie machen das. Das ist keine Kritik an den anderen, Sie wissen
schon.«
    Holtgreve nahm endlich die Hand aus der Jackentasche,
legte beide Hände auf die Oberschenkel und stemmte sich aus seinem Stuhl.
    »Ich geh schon, bleiben Sie sitzen. Ich höre
von Ihnen, diskret und schnell. Und benutzen Sie das Ding zwischen Ihren Ohren,
dafür werden Sie bezahlt.«
    Bevor er noch seinen Lieblingsspruch zu Ende
gebracht hatte, war er schon durch die Tür und schloss sie hinter sich.
     
    Das kann ja interessant werden, dachte Jung. Er setzte sich auf seinem
Stuhl zurecht, legte seine Unterarme auf die Schreibtischplatte und starrte versonnen
auf den Aktenberg. Ganz oben konnte nur Holtgreves direkter Vorgesetzter, der Polizeipräsident
in Kiel, sein. Holtgreve pflegte sonst keine Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten
auf Ministerialebene, aus Politik oder Wirtschaft. Dafür war er nicht gebaut, nicht
glatt und geschmeidig genug, eher hölzern, unbeholfen und langweilig. Mit ihm konnte
man keine Intrige durchziehen, keine Seilschaften bilden. Nur der Präsident selbst
pflegte – schon wegen seiner Dienststellung – weitreichende Kontakte zu Politik
und Wirtschaft. Das gehörte zu seinem Job wie das Salz in die Suppe. Jung spürte
seine erwachende Neugier und wachsende Unruhe. Er witterte abstoßende Schweinereien
auf gesellschaftlicher Ebene, die permanent unter der voyeuristischen Kontrolle
der Öffentlichkeit lagen und das bevorzugte Ziel jener Medien waren, die mit dem
Blick durch Schlüssellöcher Schlagzeilen und Geld machten. Jung erinnerte sich dunkel
an einen spektakulären Todesfall auf Sylt, zu dessen Bearbeitung Holtgreve eine
Sonderkommission zusammengestellt

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