Inselwaechter
Gepflogenheiten der morgendlichen Spaziergänge Bescheid wissen. Ich habe ein wenig mit ihnen gespielt und sie sind nicht böse geworden. Sie verstehen also ihr Handwerk und machen es wie der Wassertropfen mit dem Stein. Fühlst du dich nicht auch etwas steinern?«
Grohm verzog das Gesicht zu einer Fratze. »Ich habe auch ein wenig gespielt und ihnen gesagt, dass ich am Morgen spazieren war, und ich habe ihnen sogar zwei Zeugen dafür nennen können. Alles andere wäre Unsinn gewesen.«
»Oh, das war klug von dir?«
»Du bist die Letzte, von der ich das hören möchte.«
Sie konterte stoisch: »Es stünde dir gut an, ein wenig zuvorkommender mit den Menschen umgehen, die dir nahe sind. Es werden immer weniger. Von deinem Frederic brauchst du nicht viel erwarten. Ich weiß, dass ihr euch am Donnerstagabend getroffen habt. Was macht der Kerl hier? Hat er etwas mit dem zu tun, was geschehen ist?«
Grohm behielt sich mit Mühe unter Kontrolle und atmete ein paar Mal heftig, bevor er antworten konnte. Die Vernehmung hatte ihn angestrengt, auch wenn er das nicht hatte deutlich werden lassen – den Polizisten und sich selbst gegenüber. Melanie Schirrs Anruf aber machte ihm deutlich, wie erledigt er war. Ihren Sarkasmus konnte er nun noch weniger ertragen wie die Tatsache, dass sie ihm nachspionierte. Dabei kannte er sie schon so lange. Nie hatte er sich durch ihre Art unter Druck setzen lassen, denn hinter allem verbarg sich eine große Zuneigung zu ihm, die er zeitweise, je nach Stimmungslage, durchaus schätzte. Ihre Gunst und Gewogenheit hatten ihm gutgetan und er kokettierte damit. Doch jetzt waren ihm die Geduld und der Eifer, mit welchem sie ihn unerwidert liebte, ekelhaft. Er empfand es als hündische Anhänglichkeit.
Vielleicht dachte sie, nun sei ihre Zeit gekommen. Wie grausam musste man sein, fragte er sich, um sie loszuwerden? Er sprach nüchtern und ohne seine Gefühle zu sehr schwingen zu lassen: »Verschone mich mit deinem Verständnis und Mitgefühl. Ich hasse das. Ich habe ihnen übrigens nicht davon erzählt, dass ich dich an diesem Morgen gesehen habe, drüben am verschwenderisch schönen Finanzamt. Welch ein Land, in dem Finanzbeamte in solchen Residenzen walten. Und nun – lass mich in Ruhe.«
Er wartete keine Reaktion ab, sondern drückte das Gespräch weg, schnappte die Zimmerkarte und ging hinunter. Dort war Sommer, unbeschwerter Sommer. Gerade wurde ein kleiner Tisch frei, ganz hinten. Das war ihm lieb, denn er blieb gerne im Hintergrund und beobachtete von da.
Er sah, wie Claire Wilms das Hotel verließ und eilig in Richtung Bahnhof verschwand. Grohm verhielt sich unauffällig. Er legte keinen Wert auf ein Gespräch. Jetzt nicht. Überhaupt wirkte sie gehetzt und aufgebracht. So hatte er sie noch nie erlebt. Für einen Augenblick huschte ein verächtliches Grinsen über sein Gesicht. Dann sah er in der Menge diesen Polizisten Wenzel vorbeilaufen. Waren die denn ständig um ihn, und überall?
*
Lydia Naber hatte sich beeilt. Sie wollte wenigstens den Sonntagabend zu Hause verbringen und nicht in die Nacht kommen. Mit der Münchner Kollegin war sie direkt bei Agnes Mahlers Wohnung verabredet. Ihre Entscheidung fiel gegen eine Fahrt mit dem Auto. Sie wollte die Zeit nutzen, um einer Spur nachzugehen, die im Zusammenhang mit den Wildblumen stand. Gerade als sie den Bahnhof betreten wollte, sah sie Grohm vom Hotel herkommen. Sie blieb stehen und wartete. Als er in ihrer Nähe vorbeiging, grüßte sie ihn. Verwundert blieb er stehen und fixierte sie. Dann ging er wortlos weiter und schien verärgert über das Zusammentreffen.
Kaum hatte sie die schweren Schwingtüren des Bahnhofs geöffnet und den weiten Raum betreten, blieben die wogenden Laute aus Hafen und Altstadt hinter ihr zurück. In der Bahnhofsbuchhandlung versorgte sie sich mit ein wenig Unterhaltung und entgegen ihrer Vermutung fuhr der Zug pünktlich aus dem Bahnhof aus. Sie hatte ein Abteil ganz für sich und genoss das milde Rumoren und Rumpeln, das der schweizerische Waggon in den Innenraum weitergab. Langsam glitten die Waggons über den Bahndamm. Der Blick nach Westen war immer wieder atemberaubend. Welche Stadt sonst konnte mit so großem Theater aufwarten, war man mit dem Zug unterwegs?
München fühlte sich an diesem Sommersonntag leer und entspannt an. Ganz anders, als man das an einem solchen Tag vom Bodensee gewohnt war. Hier in München war die Luft voll von Lindenduft. Überrascht von der Süße, die sie so
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