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Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Inspektor Jury spielt Katz und Maus

Titel: Inspektor Jury spielt Katz und Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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all der Aufregung war sie fürchterlich müde. Sie stellte die Tragebox auf den Boden, setzte sich, zog die Beine an und lehnte sich mit dem Rücken an einen der Stämme. Das Sonnenlicht, das noch im September durch die Zweige geströmt war, schien zu dieser Jahreszeit nur noch sehr schwach. Und schien die Sonne auch auf ihn? Carrie verzog das Gesicht und preßte es an die Baumrinde, um nicht zu weinen. Sie hatte eine ganze Phase ihrer Kindheit verdrängt. Ihr Vater und ihre Mutter waren wahrscheinlich tot, aber das würde sie nie erfahren.
    Es war ein Vers aus irgendeinem Gedicht. Sie war einmal im East End von London zur Schule gegangen, das heißt, eigentlich hatte sie oft geschwänzt, denn es war grauenhaft gewesen. Was sie wußte, hatte sie sich selbst beigebracht. Jetzt ging sie nicht mehr zur Schule. Als die Dame von der Behörde vorbeigekommen war, um sich zu erkundigen, warum, hatte die Baronin behauptet, Gillian Kendall sei ihre Hauslehrerin (sie war die Sekretärin); und auf Drohungen hatte die Baronin mit einer Vehemenz gekontert, die nur auf das vierte Glas an dem Nachmittag zurückzuführen war. Die Beamtin hatte sich nie wieder blicken lassen.
    Natürlich war die Baronin ein bißchen ausgeflippt. Carrie war’s recht, denn die normalen Leute, die sie bisher kennengelernt hatte, waren auch nicht das Gelbe vom Ei.
    Sie stieg von ihrem Sitz, nahm die Box und sah noch einmal in das diesige Sonnenlicht; der Himmel war grauweiß. War es ein schöner Tag zum Sterben – Und schien die Sonne auch auf ihn?
    Sie preßte die Augen zusammen. In Sekundenschnelle hatte sie sich sogar einmal selbst einen Namen geben müssen. Wie sie auf Carrie Fleet gekommen war, wußte sie nicht.

9
    S EBASTIAN G RIMSDALE STAND im «Haus Diana» am Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt oder eher: verrenkt, und beobachtete, wie sie um die Ställe herumging und näher kam. Heute morgen um sechs war alles mit Rauhreif bedeckt gewesen, auf jedem sterbenden Grashalm lag gefrorener Tau, und einen Moment lang hatte er jenes Hochgefühl empfunden, das ihn sonst nur auf der Jagd übermannte. Bei Mädchen kaum. Und schon gar nicht bei dieser Proud. Nein, Prad. Oder so ähnlich. Und hier kam diese Fleet und schleppte den bescheuerten Kater an. Die Polizei! Wußten die mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen, als in der Landschaft rumzugurken und vermißte Kater zu suchen?
    «Ich bin davon ausgegangen, daß Barney mit in mein Zimmer kann –» hatte diese Prad in aller Dreistigkeit gesagt.
    Na ja, das Vorhaben hatte er flugs zunichte gemacht und ihr gesagt, sie müsse den Kater im Auto lassen. Als sie sich woanders eine Unterkunft suchen wollte – den Stift knallte sie hin, diese ungehobelte Person –, hatte er an die acht Pfund gedacht und ihr gesagt, sie könne den Kater beim Tierarzt unterbringen. Mit der Frau wurde man ja spielend leicht fertig.
    Mr. Grimsdale hörte ein Husten, drehte sich um und sah zwei seiner Gäste. Archway oder so. Samt seiner wasserstoffblonden Gattin, die wie ein Flittchen aus einem West-End-Musical aussah. Jetzt schminkte sie sich gerade die Lippen. Er fragte sich, wo der Gatte, ein Mondgesicht mit randloser Brille, die wohl aufgegabelt hatte.
    Er riß den Blick von ihrer üppigen Vorderfront los und sagte: «Ja, Mr. Archway? Was gibt’s?»
    «Archer. Wir wollten nur unsere Rechnung bezahlen.»
    Sie sollten eigentlich noch eine Nacht bleiben. War es nicht schon schrecklich genug, daß widrige Umstände ihn zwangen, das «Haus Diana» in ein Gästehaus zu verwandeln (er weigerte sich, es als Bed & Breakfast zu bezeichnen)? Und jetzt stürzten die Gäste auch noch sämtliche Abmachungen über den Haufen. «Meines Wissens wollten Sie zwei Nächte bleiben. Zwei. » So zurechtgewiesen, errötete der Ehemann, aber die Frau ließ die Rougedose zuschnappen und sagte mit ihrem schauderhaften East-End-Akzent: «Das Zimmer ist kalt wie eine Klosterzelle –»
    Ihr Mann stieß sie mit dem Ellenbogen an und brachte sie zum Schweigen. Gut, wenn sie unbedingt Schwierigkeiten machen wollten … «Sie hätten das Zimmer um zwölf Uhr verlassen müssen. Jetzt ist es dreizehn Uhr.» Eine hohe Standuhr im Eingang schlug dumpf die fatale Stunde.
    Und gleichzeitig ertönte der riesige eiserne Türklopfer. Diese Fleet. Hatte vor nichts Respekt. «Ich denke doch, daß Sie nicht gern für eine Übernachtung zahlen, die Sie nicht in Anspruch nehmen. Bisher hat sich noch niemand wegen der Heizung beschwert.» (Eine glatte

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