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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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alles als eine Art Witz, einen Schabernack, wie er Königlichen Hoheiten eben so einfiel. Er gähnte und verschränkte die Hände im Rücken.
    Ihre eigenen Gedanken, dachte Kate, waren ja nicht minder prosaisch, nicht minder aufs Häusliche gerichtet. Inmitten all dieser Pracht – welche exotischen Gerichte mußten an dieser Tafel serviert worden sein! – dachte sie ans Essen, das sie kochen mußte, an Karotten und Kohl, die sie vergessen hatte. Karotten und Kohl.
    Kate steckte die Hände in die Manteltaschen, ließ die Tasche am Handgelenk baumeln und fragte sich, was Dolly wohl machte und wo sie jetzt war. Sie hatten sich wieder über Kates Pensionspläne, die Vermietung eines Zimmers an einen Fremden, gestritten. Entschuldige, Dolly, aber es sind nun mal im allgemeinen Fremde, die Zimmer mieten. Wer er denn sei? Was sie über ihn wisse? Ob sie denn nicht begriff, wie gefährlich das sein könne?
    Er hatte gar nicht gefährlich ausgesehen. Er sah sogar recht attraktiv, recht interessant aus. Hatte sie Dolly eigentlich erzählt, daß sie ihn im Spotted Dog kennengelernt hatte – oje, da wäre sie vielleicht völlig durchgedreht. Kate seufzte. Jemand in einem Pub kennenzulernen und ihm ein Zimmer anzubieten, wo man doch gar nichts über ihn wußte …
    Ein Wärter stand neben ihr und sagte ruhig, daß es gleich fünf sei und sie schließen würden. Wie lange hatte sie hier schon gestanden? Als sie in den langen Korridor hinaustrat, beschäftigte sie immer noch die Frage: Was wußte sie eigentlich über ihn, außer daß er charmant war? Nichts. Er kam aus London, aber was hatte das schon zu bedeuten? Vielleicht hatte Dolly diesmal doch recht. Aber Dolly litt schließlich auch nicht unter ihrer, Kates, Einsamkeit.
    Unter einer durch zartes Gitterwerk unterteilten Decke marschierte Kate durch rote und blaue Fahnen, Bambus und Porzellan und fragte sich, was für ein Mensch, was für ein König das wohl gewesen war, der sich eine solche Phantasiewelt erbauen ließ. Welche Leben hatte er damit ruiniert, welche Leiden damit angerichtet?
    Kate überquerte den Castle Square. Eine feine Regengischt hob und blähte sich wie ein zarter Vorhang, und nur, weil außer ihr so wenige Menschen auf dem Platz waren, fiel ihr der Mann am äußersten Ende auf. Er war zu weit weg, als daß sie sich absolut sicher sein konnte, aber sie glaubte, daß er dem Mann ähnelte, den sie im Spotted Dog kennengelernt hatte. Er bewegte sich nicht. Er schien zu ihr herzusehen.
    Obwohl sie wußte, daß es lächerlich war, machte es sie dennoch nervös. Er betrachtete natürlich den Royal Pavilion, nicht Kate. Sie hielt inne, drehte sich um und blickte zurück. Die erlesene Architektur der Pavillonfassade wurde durch das hohe Gerüst brutal entstellt. Die meisten Arbeiter waren schon gegangen, aber zwei saßen noch immer da oben, rauchten und tranken aus Styroporbechern. Ein Palast voller Silberdrachen und Diamanten und Trockenfäule. Sie stopfte ihr Haar unter die Strickmütze und dachte, daß das Gerüst die Wirklichkeit sei und nicht das Silber und das Blattgold. Die Arbeiter schnipsten ihre Zigaretten übers Geländer, packten ihre Sachen zusammen und gingen, sie waren sich gar nicht bewußt, daß sie ein Phantasiegebilde zusammenflickten. Paläste zerfallen, und das bedeutet Arbeitsplätze.
    Als Kate sich wieder umdrehte, war der Mann fort.

21
    O BEN IM ZWEITEN S TOCK HOLTE Carole-anne Palutski die Slips ein, die sie auf einer zwischen Fensterbrett und einem nahen Ast aufgespannten Leine aufgehängt hatte. Die Reihe bunter Bikinihöschen blähte sich im Wind wie Fähnchen auf einer Yacht. Sie lebten nur zu dritt in diesem Haus in Islington – Mrs. Wasserman im Tiefparterre, Jury im Erdgeschoß und Carole-anne zwei Stockwerke höher, wo die Miete billiger war. Die Wohnung dazwischen stand leer, und Carole-anne hatte den Hauseigentümer dazu überredet, daß sie sie Interessenten zeigen durfte. Sie machte das nicht nur wegen des Mietnachlasses, den er ihr dafür einräumte, sondern auch, um sicherzugehen, daß niemand einzog, der ihre traute Dreisamkeit gefährdete.
    «Hi, Super!» rief sie und winkte aufgeregt mit der freien Hand, als sähe sie ihn nicht jeden Tag. Die Unterhöschen schossen in die Fensteröffnung, der Kopf verschwand.
    Jury stieg die Stufen zu seiner Islingtoner Wohnung hinauf und sah als erstes nach, ob Mrs. Wasserman zu Hause war. Jetzt, wo Carole-anne hier wohnte, hatte Mrs. Wasserman nicht mehr soviel Angst auf den Londoner

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