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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Ligusterhecke geschüttelt und beinahe eine Vase mit gefrorenen Stengeln, die am Rand der breiten Freitreppe stand, umgestoßen. Wirklich eine Warboyssche Fahrt, dachte er, als er sich ein Stückchen Buchsbaumholz vom Mantel und einen Zweig von den Schuhen schnippte und St. John St. Clair die große und lebensgefährlich vereiste Treppe hinauf folgte.
    Sybil St. Clair erhob sich mit ausgestreckten Armen und – wenn man sich ihr Kleid so betrachtete – mit fliegenden Fahnen, um ihn zu begrüßen. Das Kleid schien zum Großteil aus losen Enden und Tüchern zu bestehen, die aussahen, als würden sie gleich durch das lange Wohnzimmer davonflattern. Melrose sah, daß es ein sehr schöner Raum mit Rosenholzvertäfelung und einer Adam-Decke war. Vielmehr «gewesen war», denn Sybil, die sich etwas auf ihre innenarchitektonischen Fähigkeiten zugute hielt, hatte es völlig im Art-déco-Stil umgestaltet. Es gab einfach viel zuviel blaues Glas und grünen Marmor. Jetzt erinnerte er sich auch, daß sie eine recht umfangreiche Klientel hatte, die ganz versessen darauf war, daß Sybil für sie arbeitete. Er konnte sich allerdings kaum vorstellen, daß jemand, der auch nur ein Fünkchen Geschmack besaß, ihr Kunde würde. Sie brachte es fertig, Räume derart zu verschandeln, daß sie einen an alte Kinosäle erinnerten. Mit ihrem Flatterkleid und der fliegenden Haartracht, die überhaupt nicht zu ihrem rundlichen Gesicht paßte, erinnerte sogar sie selber an einen Filmstar von gestern.
    Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihre beringten Hände zu ergreifen und sich den warmen Händedruck gefallen zu lassen, als sei er ein alter und lieber Freund. Mit ihrer flüsternden Art zu sprechen verstand es Sybil St. Clair, auch aus der kürzesten Bekanntschaft eine enge Beziehung zu machen.
    Glücklicherweise teilten die St. Clair-Töchter den Hang ihrer Mutter zu Gefühlsergüssen nicht. Lucinda war einfach zu wohlerzogen und schüchtern, und die anderen waren abwechselnd zu hochnäsig oder erhaben. Die mittlere Tochter hieß Divinity und saß blaß und aufrecht auf einem harten Stuhl am Kamin. Die jüngste hieß Pearl und stellte sich auf einem vergoldeten Fauteuil zur Schau. Melrose fragte sich, ob die Mutter wohl einen Preis auf den Kopf der einen und einen Schleier auf den der anderen hatte setzen wollen. Pearl spielte mit einer sehr langen und kostspieligen Haarsträhne, und Divinity bot ihm eine schlaffe Hand und schenkte ihm ein schiefes Lächeln, das wahrscheinlich besagen sollte, daß sich diese kleine Zusammenkunft weit unter der Würde ihres himmlischen Auftrags befand.
    Ein Jammer, daß die freundliche und aufrichtige Lucinda das lange Gesicht und die traurigen Augen ihres Vaters geerbt hatte. Und das Kleid schmeichelte ihr auch nicht gerade, möglicherweise aber dem Geschäft ihres Vaters, denn es hatte einen häßlichen Gewürzgurkenton, der durch das Kaminfeuer auf ihr Gesicht zurückgeworfen wurde und seine fahle Blässe noch verstärkte.
    Sybil wandte sich an Melrose: «Wir wollten eigentlich unbedingt, daß auch unsere Nachbarn, die Winslows, kommen. Aber sie haben es nicht geschafft. Wir versuchen wirklich alles, um ihnen zu helfen.» Sybil seufzte und nahm sich ein raffiniert dekoriertes Canapé von einem Art-nouveau-Tablett.
    Ehe Melrose noch fragen konnte, warum ihre Nachbarin denn Hilfe brauchte, sagte St. John St. Clair: «Es wäre schön, wenn sie etwas näher wohnen würde.» Er überflog mit kritischem Blick die Canapés und wählte schließlich zwei, die er auf seinen kleinen Teller legte. «Oder wenn wir überhaupt Nachbarn in der Nähe hätten. Ich weiß nicht, wozu wir dieses ganze Land eigentlich brauchen.» Er seufzte.
    «Mein Gott, Sinjin, du wolltest dich doch hier einkaufen. Du hast doch immer gesagt, daß du Land willst.»
    « Gutes Land, ja», sagte St. Clair.
    «Wie meinst du das? Das Land ist doch völlig in Ordnung.» Sybil schenkte Melrose ein unangenehmes kleines Lachen, als wolle sie ihm versichern, daß ihr Land nicht schlechter als jedes andere sei.
    «Wir können im Grunde doch überhaupt nichts anbauen. Peters sagt mir ständig, daß auf diesem Boden nichts wächst.»
    «Mach dich nicht lächerlich. Unser Garten ist doch wirklich wunderschön. Marion hat es erst vorgestern gesagt.»
    «Der Garten der Winslows ist wunderschön, meine Liebe. Nicht unserer. Und natürlich sagt die arme Mari on das, sie ist die Liebenswürdigkeit in Person. Mit ihren Buschrosen könnte sie Preise gewinnen.

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