Instrumentalität der Menschheit
Hand. Dort ruhten beide für eintausenddreihundertvierzig Jahre.
3
Im Jahre 1894 öffnete ein deutscher Forscher – zumindest bildete er sich ein, das zu sein – die Gruft des Gesegneten im Namen der Wissenschaft.
Die Einheimischen überraschten ihn bei seiner Tat und vertrieben ihn.
Er entkam mit nur einem einzigen Beutestück, mit einem Behälter aus Onyx, in dem sich eine seltsame Kupferpfeife befand. Sie schien aus Kupfer zu bestehen, obwohl das Metall nicht korrodiert war, wie es bei normalem Kupfer nach einer solch langen Liegezeit in feuchter Erde hätte der Fall sein müssen. Die Pfeife war verdreckt. Er säuberte sie ausreichend genug, um ihre Zerbrechlichkeit und den unchinesischen Charakter der Gravuren zu erkennen.
Er säuberte sie nicht genug, um auf ihr spielen zu können; aus diesem Grund überlebte er.
Die Querpfeife wurde einem kleinen Gemeindemuseum überreicht, das nach einer großen deutschen Herzogin benannt worden war. Sie verschwand in der Vitrine Nr. 34 des Dorotheums und verblieb dort weitere einundfünfzig Jahre.
4
Die B-29 waren fort. Sie waren weitergedröhnt in Richtung Rastatt.
Wolfgang Hüne kletterte aus dem Graben. Er haßte sich, er haßte die Alliierten, und er haßte beinahe auch Hitler. Er war ein hübscher, blonder, hochgewachsener, zackiger Hitlerjunge. Zudem war er mutig, scharfsinnig, grausam und verschlagen. Er war ein Nazi. Nur in einer Nazi-Welt bestand für ihn Hoffnung auf Leben. Seine Eltern, so wußte er, waren in den Staub zurückgekehrt. Als sein Vater bei einer Bombardierung ums Leben gekommen war, hatte es Wolfgang nicht gekümmert. Als seine halbverhungerte Mutter einer Grippe zum Opfer fiel, vergoß er für sie keine Träne. Sie war alt und zählte nicht. Deutschland zählte.
Nun zerfiel dieses Deutschland, das für ihn zählte, wurde von Explosionen eingeebnet, von Schockwellen erschüttert und von den endlosen Angriffen der alliierten Luftstreitkräfte zermürbt.
Als junger Nazi kannte Wolfgang keine Furcht, aber er kannte die Verwirrung.
Auf animalische, instinktive Weise wußte er – ohne darüber nachgedacht zu haben –, daß auch er nicht überleben würde, wenn der Hitlerismus nicht überlebte. Er wußte sogar, daß er sein Bestes tat, auch wenn das jetzt nicht mehr viel war. Er hielt Ausschau nach Spionen und meldete Miesmacher, die sich über den Führer oder den Krieg beklagten. Er half bei der Organisierung des Volkssturms, und er hoffte sogar noch, als Nazi-Guerillero zu kämpfen, als die Alliierten den Rhein überquerten. Wie ein Tier, aber wie ein sehr intelligentes Tier, wußte er, daß er kämpfen mußte, obwohl ihm manchmal der Gedanke kam, daß er den Kampf verlieren mochte.
Er stand auf der Straße und beobachtete, wie sich der Staub nach der Bombardierung wieder legte.
Hell fiel das Mondlicht über das aufgebrochene Pflaster.
Stille herrschte in diesem Stadtteil. Er hörte die Flammen im Stadtzentrum knistern, und sie erinnerten ihn an die vertrauten Laute daheim, wenn sein Vater Kopfsalat gegessen hatte. Sonst war alles ruhig. Er schien allein zu sein, allein unter dem Mond, in einem winzigen, vergessenen Winkel der Erde.
Er sah sich um.
Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen; das Dorotheum-Museum war eingestürzt.
Langsam schlurfte er hinüber zu der Ruine. Im dunklen Eingang blieb er stehen.
Mit einem Blick zurück zur Straße und hinauf zum Himmel überzeugte er sich, daß keine Gefahr drohte, schaltete seine Taschenlampe ein und ließ den Lichtstrahl durch den verwüsteten Raum wandern. Die Vitrinen waren zersprungen; Glasscherben bedeckten die Ausstellungsstücke. Splitter der zerplatzten Fenster lagen auf den alten Steinfliesen und wirkten im kalten Mondlicht wie Eis.
Plötzlich brach vor ihm eine beschädigte Vitrine endgültig zusammen.
Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf sie. Das Licht enthüllte eine kurze Röhre, die irgendwie an den Lauf einer altertümlichen Pistole erinnerte. Wolfgang griff nach der Röhre. Er hatte in einer Musikgruppe gespielt, und er wußte, um was es sich dabei handelte. Es war eine Querpfeife.
Er hielt sie einen Moment in der Hand und schob sie dann in seine Jackentasche. Er ließ den Strahl seiner Lampe erneut durch das Museum wandern und kehrte dann wieder auf die Straße zurück. Er wollte keine Auseinandersetzung mit der Polizei riskieren.
Jetzt hörte er Lastwagenmotoren brummen, und der verdünnte Treibstoff ließ sie zischen und knattern, während
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