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Der Wein des Frevels

Der Wein des Frevels

Titel: Der Wein des Frevels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Nichts in Francis Lostwax’ Erfahrungsbereich hatte ihn auf das plötzliche Verschwinden seines Heimatplaneten vorbereitet.
    Er war ein gläubiger Anhänger der Naturgesetze. Wenn Francis eine frische, reife Mamuka von sich warf, so glaubte er, daß sie nach unten und in keine andere Richtung fallen würde. Wenn er einen neugeborenen Gorgathon aus seinem Nest nahm und ins Labor brachte, so wußte er aus seiner unerschütterlichen Erfahrung, daß ihm die wütende Mutter mit spitzem, stechendem Schnabel folgen würde.
    Es geschah zur Mittagszeit, nach der Äquatorialzeit, während der letzten fünfzig Millionen Kilometer ihrer Rückreise von Arete. Er saß in seiner Kabine und fühlte sich nach einem üppigen Lunch vollsatt und schläfrig. Die sanft geformten Klumpen des Malnovischen Asteroidengürtels schwebten wie Croutons vor seinen Augen. Alltäglich, dachte er, so alltäglich wie das Essen im Weltall. Als er den Gürtel passierte, stellte er seinen Holovisionsmonitor auf Nahaufnahme ein. Da – das war schon besser – sein Zuhause…
    Aus der Warte des Alls betrachtet, war die Nerde mit ihren glatten, zyanblauen Wolken die Königin des Solarsystems. Niemand käme auf den Gedanken, daß dieselben Wolken an der Unterseite schmutzig waren und einen üblen Geruch ausströmten. Der Planet rückte im Geschwindigkeitsfaktor eins näher. Laut Flugplan würden sie ihn im Leerlauf ansteuern, nachdem sie gestern ihren letzten Treibstoff verbraucht hatten. Francis pumpte sein Kissen auf, bis es ganz prall wurde, dann schob er es sich bequem unter und rutschte vor den Monitor, um ein intensives Heimwehgefühl zu genießen.
    Eben hatte er sie noch gesehen – und jetzt war sie seinen Blicken entschwunden. Die Nerde war nicht mehr zu sehen, und an ihrer Stelle gähnte eine endlose, höhnische Nacht.
    Das Entsetzen, das ihn erfaßte, trennte ihn von allem, was existierte. Er war ebenso verloren wie sein Planet. »Großer Gott!« entfuhr es ihm mit lauter Stimme, auch wenn er nicht an Götter glaubte – mochten sie nun gut sein oder nicht.
    Bebend sprang Francis auf und schleppte sich auf seinen Metallstiefeln durch die künstlich erzeugte Magnetschwerkraft. Ein Röhrenschacht führte ihn auf das Kontrolldeck der Darwin, in dessen Mitte Burne Newman umherzappelte, dicht vor dem Hauptmonitor. Der Malnovische Asteroidengürtel kreiste in seinem Orbit, als sei nichts geschehen.
    Unter normalen Umständen hätte es Francis Spaß gemacht, den großen Würfelmonitor zu betrachten, der eine aufregende Ansicht der im Bild eingefangenen Sonnen bot. Die Darwin war ein Sozyo-Modell 3560, und das bedeutete, daß der Holojektor in der Decke montiert war und nicht im Boden oder in der Wand. Sozyo stellte 4-D-Geräte her. Das Bild hatte Höhe, Breite, Tiefe und eine vierte Dimension, die sich einer genauen Definition entzog. Sie wurde Präsenz genannt. Irgendwie hatte der Betrachter das Gefühl, daß sich der dargestellte Gegenstand in demselben Raum befand wie er selbst. Man konnte scheinbar darauf zugehen, den Wohlgeruch der Planeten einatmen, ihre Oberflächen betasten und mit einem Finger den Schmutz mehrerer Äonen von den Konturen reiben. Francis nahm die Präsenz des Malnovischen Gürtels auf, und vor lauter Abscheu wurde ihm fast übel.
    Burne schnaufte und brachte damit zum Ausdruck, daß auch Francis Präsenz hatte. Der gute, alte Burne. Der sanfte, nervöse Burne. Burne würde ihm das alles erklären.
    Francis ging mit klirrenden Schritten weiter. Der Boden des Kontrolldecks bestand aus einer großen, fleckenlosen Metallscheibe. »Es hat Krieg gegeben!« krächzte er. »Die Nerde hat sich in Luft aufgelöst!«
    Burne musterte ihn mit halbgeschlossenen Augen. Wortlos schaltete er auf Nahaufnahme und zuckte zusammen. Die Nerde war auch von seinem Monitor verschwunden, und die Sternenlose Nacht war ebenso endlos wie in Francis’ Kabine.
    Aber Burnes Stimme klang ruhig und gelassen. »Ach, zum Teufel –, irgend etwas versperrt uns die Sicht, das ist alles.« Er wechselte die Bildschärfe, und die Nacht verdichtete sich langsam zu einem Gegenstand, einer schwarzen Kugel, die ein Loch im Himmel bildete und in mondlosem Schweigen vor ihnen schwebte. »Gottes magische Mausefalle!«
    »Was ist das?« fragte Francis und atmete erleichtert auf. Das war doch noch nicht das Ende der Welt.
    »Carlotta!« jubelte Burne entzückt. »Carlotta der Geist!« Er warf ein Relais auf das Schaltfeld der Bordsprechanlage und sandte seine Stimme

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