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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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hatte. Von der Maschine ging eine Aura ungeheuren Alters aus.
    »Ich kann nichts sehen«, klagte Carlotta. »Ich brauche Licht.«
    Das Knirschen und Ächzen lange ungenutzter Maschinenteile ertönte. Ein weiterer mechanischer Arm erschien, und bei seinen Bewegungen fielen Flocken aus halbkristallisiertem Schmutz zu Boden. Von der Spitze des Arms ging blaues, durchdringendes und merkwürdiges Licht aus.
    Bach, Wald, das kleine Tal, die Maschine, sogar sie selbst, alles wurde erhellt von dem milden, durchdringenden, blauen Licht, das nicht in ihre Augen stach. Das Licht verschaffte ihr sogar ein angenehmes Gefühl. Mit Hilfe des Lichtes konnte sie lesen. Knapp hinter den beiden Köpfen war folgende Inschrift in das Rückenschild eingestanzt:
     
    W AFFENAMT DES S ECHSTEN D EUTSCHEN R EICHES
    B URG E ISENHOWER 2495 A.D.
     
    Und darunter, aber in viel größeren lateinischen Buchstaben:
     
    M ENSCHENJÄGER M ODELL E LF
     
    »Was bedeutet ›Menschenjäger Modell Elf?‹«
    »Das bin ich«, pfiff die Maschine. »Wie kommt es, daß du mich nicht kennst, obwohl du doch angeblich eine Deutsche bist?«
    »Natürlich bin ich eine Deutsche, du Narr!« sagte Carlot ta. »Sehe ich vielleicht wie eine Russin aus?«
    »Was ist eine Russin?« fragte die Maschine.
    Carlotta stand verwundert, träumend, furchtsam in dem blauen Licht – fürchtete sich vor dem Unbekannten, was um sie herum entstanden war.
    Als ihr Vater, Heinz Horst Ritter vom Acht, Professor und Doktor für mathematische Physik am Projekt Nordnacht, sie in den Himmel geschossen hatte, bevor er selbst sich bereitmachte für den grausigen Tod durch die Hand der sowjetischen Soldateska, hatte er ihr nichts von dem Sechsten Reich erzählt, nichts von dem, was sie vielleicht erwartete, nichts über die Zukunft. Es kam ihr der Gedanke, daß die Welt vielleicht tot war, daß jene fremden kleinen Männer nicht aus Prag stammten, daß sie sich im Himmel oder in der Hölle befand, selbst tot, oder daß sie – falls sie doch lebte – auf einer anderen Welt stand oder auf ihrer eigenen, zukünftigen Welt, oder vielleicht überstiegen die Dinge das menschliche Begriffsvermögen, oder die Probleme waren so kompliziert, daß kein Verstand sie lösen konnte …
    Erneut wurde sie ohnmächtig.
    Der Menschenjäger konnte nicht wissen, daß sie bewußtlos war, und wandte sich wieder in seinem ernsten, hohen Singsangdeutsch an sie. »Deutsche Bürgerin, hab Vertrauen, daß ich dich beschützen werde. Ich bin erschaffen, um deutsche Gedanken zu identifizieren und um alle Menschen zu töten, die keine wahren deutschen Gedanken besitzen.«
    Die Maschine zögerte. Ein lautes elektronisches Klappern und Klicken hallte durch die stillen Wälder, während die Maschine versuchte, ihren eigenen Verstand zu ordnen. Es war nicht einfach, die richtigen Worte aus dem lange ungenutzten Speicher und in dieser so alten und so neuen Situation zu finden. Die Maschine stand da in ihrem eigenen blauen Licht. Das einzige Geräusch war das Plätschern des Baches, der unermüdlich seiner friedlichen und leblosen Beschäftigung nachging. Selbst die Vögel in den Bäumen und die Insekten in der Nähe waren verstummt angesichts der Nähe dieser furchterregenden pfeifenden Maschine. In den Lautrezeptoren des Menschenjägers klangen die Schritte der Trottel, die inzwischen eine Strecke von drei Kilometern zurückgelegt hatten, wie fernes, schwaches Getrappel.
    Die Maschine befand sich im Widerstreit zweier Pflichten, der lang geübten und vertrauten Pflicht, alle Menschen zu töten, die keine Deutschen waren, und der uralten und vergessenen Pflicht, alle Deutschen zu unterstützen, wer immer sie auch sein mochten. Nach einem weiteren elektronischen Geschnatter begann die Maschine erneut zu sprechen. Unter der Melodie ihres Singsangdeutsches klang eine neugierige Warnung auf, ähnlich dem Pfeifen, das sie von sich gab, wenn sie sich bewegte, ein Geräusch, das von ungeheurer elektronischer und mechanischer Anstrengung kündigte.
    »Du bist eine Deutsche«, erklärte die Maschine. »Es ist lange her, seit ich zuletzt einen Deutschen getroffen habe. Ich habe die Welt zweitausenddreihundertachtundzwanzigmal umrundet. Ich habe siebzehntausendvierhundertneunundsechzig Feinde des Sechsten Deutschen Reiches mit Sicherheit und weitere zweiundvierzigtausendundsieben Feinde aller Wahrscheinlichkeit nach getötet. Ich habe mich elfmal in das automatische Restaurationszentrum begeben. Die Feinde, die sich selbst die Wahren

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