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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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Ding … diese Macht … dieses Wesen, das von den Sternen herabgestiegen war?
    Mitleid ist so alt und so emotional wie Lust. Als seine Lust wich, wurde sie ersetzt durch sein elementares menschliches Mitleid. Er griff in die Tasche seines Wamses und suchte nach einigen Essensresten. Er bot sie ihr an.
    Sie aß, betrachtete ihn vertrauensvoll und erinnerte sehr an das Kind, das sie noch war.
    Carlotta fragte sich, was geschehen war.
    Als sie zuerst sein Antlitz gesehen hatte, war es voller Besorgnis gewesen. Dann hatte er gelächelt und gesprochen. Später war er lüstern geworden. Schließlich hatte er den feinen Herrn hervorgekehrt. Nun wirkte er unbewegt, Gehirn und Knochen und Haut auf die Tätigkeit des Horchens konzentriert – er horchte auf etwas, vollkommen gebannt, das ihr verborgen blieb. Er wandte sich ihr wieder zu.
    »Du mußt laufen. Du mußt laufen. Steh auf und renn. Ich sage dir, renn!«
    Sie lauschte seinem Geplapper, ohne ihn zu verstehen.
    Erneut krümmte er sich horchend zusammen.
    Mit blankem Entsetzen im Gesicht sah er sie an. Carlotta versuchte zu verstehen, was der Grund dafür war, aber es gelang ihr nicht.
    Drei weitere fremde kleine Männer, die genauso gekleidet waren wie er, stürmten lärmend aus dem Wald.
    Sie rannten wie Elche oder Hirsche, die vor einem Waldbrand flohen. Ihre Gesichter waren leer von der Anstrengung des Rennens. Ihre Augen blickten starr geradeaus, so daß sie fast blind wirkten. Es war ein Wunder, daß sie nicht mit den Bäumen zusammenprallten. Sie stürmten den Hang hinunter und wirbelten im Laufen Blätter auf. Das Bachwasser spritzte, als sie achtlos hindurchstapften. Mit einem halb tierischen Schrei schloß sich Carlottas Trottel ihnen an.
    Das letzte, was sie von ihm sah, war, wie er hinein in die Wälder lief und sein Gefieder lächerlich flatterte, während er den Kopf beim Rennen auf und ab bewegte.
    Aus der Richtung, aus der die Trottel gekommen waren, pfiff ein unirdischer, schauriger Laut durch die Bäume. Ein verstohlenes und leises Pfeifen, das untermalt wurde von den sehr leisen Geräuschen von Maschinen.
    Der Laut klang, als ob alle Panzer der Welt in dem lebenden Geist eines Panzers komprimiert worden wären, in das Herz einer Maschine, die ihre eigene Zerstörung überlebt hatte und gespenstisch den Verlauf alter Schlachten nachahmte.
    Als der Lärm sich näherte, drehte sich Carlotta ihm zu. Sie versuchte aufzustehen, und es gelang ihr nicht. Sie sah der Gefahr ins Gesicht. (Allen preußischen Mädchen war als zukünftigen Müttern von Offizieren beigebracht worden, sich der Gefahr zu stellen und ihr nie den Rücken zuzukehren.) Während der Lärm wuchs, vernahm sie das hohe, verrückte, leise fragende elektronische Geschnatter. Es erinnerte an das Sonargerät, das sie einst im Laboratorium ihres Vaters gehört hatte, in den geheimen Reichsforschungsanlagen, die sich mit dem Projekt Nordnacht beschäftigten. Die Maschine verließ den Wald.
    Und sie sah aus wie ein Gespenst.
     
     
    3. Der Tod aller Menschen
     
    Carlotta starrte die Maschine an. Sie besaß Beine wie eine Heuschrecke, einen Leib wie eine zehnbeinige Schildkröte und drei Köpfe, die sich ruhelos im Mondlicht bewegten.
    Aus der Vorderfront des Rückenpanzers schnellte ein verborgener Arm heraus, schien sie schlagen zu wollen, tödlicher als eine Kobra, schneller als ein Jaguar, lautloser als eine Fledermaus, die am Mond vorbeihuscht.
    »Nicht!« schrie Carlotta auf deutsch. Plötzlich erstarrte der Arm im Mondlicht.
    Er hielt so unvermittelt inne, daß das Metall wie eine Bogensehne sirrte.
    Alle Köpfe der Maschine wandten sich ihr zu.
    Etwas wie Überraschung schien die Maschine zu erfassen. Das Pfeifen sank zu einem trägen Schnurren herab. Das elektronische Geschnatter schwoll zu einem Crescendo an und brach dann ab. Die Maschine fiel auf die Knie.
    Carlotta kroch zu ihr hinüber.
    »Was bist du?« fragte sie auf deutsch.
    »Ich bin der Tod aller Menschen, die gegen das Sechste Deutsche Reich sind«, erwiderte die Maschine in einem flötenartigen deutschen Singsang. »Falls die Reichsangehörige mich zu identifizieren wünscht – meine Modellbezeichnung und meine Nummer sind in mein Rückenschild eingestanzt.«
    Die Maschine hatte sich so tief niedergekniet, daß Carlotta einen der Köpfe umklammern und im Mondlicht die Vorderseite des Rückenschildes erkennen konnte. Kopf und Hals, obwohl aus Metall hergestellt, fühlten sich brüchiger und abgenutzter an, als sie erwartet

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