Internat und ploetzlich Freundinnen
wieder. Mehrere schneeweiße Segelboote und ein paar Ruderboote sind daran festgemacht und schaukeln sachte hin und her. Ein Schwanenpaar zieht hoheitsvoll vorbei.
Carlotta bleibt stehen. Über dem See glitzert die Sonne. Ein leichter Wind kräuselt die Oberfläche. Kleine Wellen schwappen an das Ufer.
Schön ist das, denkt Carlotta. Am liebsten würde sie sich ein bisschen ins Gras setzen und träumen. Aber zuerst muss sie nachsehen, ob ihre Freundinnen angekommen sind.
„Hoffentlich“, sagt sie zu dem Schwanenpaar. „Ohne die beiden ist es hier nämlich ganz schön langweilig!“
„So ein Mist! Ich krieg die Motten! Das darf doch echt nicht wahr sein! Himmel, Furz und Schneckenschiss!“
Carlotta steht vor der Zimmertür, eine Hand auf der Klinke, und grinst. Das laute Fluchen stammt entweder von einem ausgeflippten Papagei oder von Manu. Nach kurzem Lauschen tippt Carlotta auf Letzteres. Nicht einmal der sprachbegabteste Papagei der Welt kann so schön und so herzhaft schimpfen wie ihre Mitbewohnerin Manuela Bernberg.
Sie zählt bis drei, dann drückt sie die Türklinke hinunter und schiebt ihren Kopf ins Zimmer. „Hi, Manu“, sagt sie und lugt um die Ecke. Im selben Augenblick zischt etwas an ihrem Ohr vorbei, prallt gegen den Türrahmen und fällt laut scheppernd zu Boden. Erschrocken zieht Carlotta ihren Kopf zurück. Hat sie sich im Zimmer geirrt, oder hat Manu wirklich gerade mit einem Wecker nach ihr geworfen? Sie wirft einen Blick auf die Zahlen an der Tür: 128. Die Zimmernummer stimmt.
„Hey!“, protestiert sie. „Was soll das?“
„Wer ist da?“, schnaubt Manu.
Carlotta vergrößert den Türspalt um wenige Zentimeter, weiter traut sie sich nicht, und antwortet: „Ich bin’s, Carlotta. Kann ich reinkommen?“
„Wenn’s sein muss“, knurrt ihre Zimmergenossin.
Carlotta runzelt die Stirn. Das geht zu weit. Immerhin wohnt sie auch hier! Sie stößt die Tür auf.
Manu thront auf ihrem Bett, zwei Kissen im Rücken, und starrt sie düster an. Die Miene der Mitschülerin verrät auf den ersten Blick, dass es um ihre Laune nicht zum Besten bestellt ist. Beim zweiten Blick, den Carlotta riskiert, schnappt sie nach Luft. Das Zimmer, das bei ihrer Ankunft vor einer knappen Stunde noch sauber und ordentlich aufgeräumt war, sieht aus, als hätte in der Zwischenzeit ein Tornado gewütet. Überall sind Kleidungsstücke verstreut. Bücher und Zeitschriften liegen achtlos herum, als hätte Manu damit Werfen geübt. Genau wie mit ihrem Wecker, dessen Einzelteile neben der Tür verteilt sind. Carlotta bückt sich, um eine Schraube und ein abgebrochenes Stück des Gehäuses aufzuheben.
Manu zieht die Augenbrauen hoch. „Seit wann bist du denn schon hier?“
„Ich freu mich auch, dich zu sehen“, zischt Carlotta und lässt die Weckerteile fallen, als hätte sie sich verbrannt. So weit kommt’s noch, dass sie der Freundin hinterherräumt! Soll die doch sehen, wie sie das Chaos wieder beseitigt.
„Die Eselbein kriegt einen Krampf, wenn sie das sieht. Und das am ersten Tag! Mensch, Manu, muss das sein?“
Manu brummelt etwas Unverständliches. Es hört sich an wie eine halbherzige Entschuldigung. „Irgendwie ist mir mein Koffer runtergefallen und aufgegangen“, murmelt sie. „Und dann bin ich sauer geworden und musste mit was werfen.“ Sie richtet sich umständlich auf. „Tut mir leid wegen der Begrüßung.“
Leicht genervt bahnt Carlotta sich einen Weg durch das Chaos. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein echter Miesmuffel bist?“
„Klar“, grinst Manu. „Das ist mein persönliches Naturell.“
Carlotta lässt sich auf einen Stuhl fallen. „Wieso ist dir der Koffer runtergefallen?“
Manu wedelt mit ihrem linken Arm. „Na, deswegen!“
Carlotta reißt die Augen auf. Manus Arm steckt vom Ellbogen bis zu den Fingerspitzen in einem knallblauen Gipsverband. „Ach du Schreck! Wie ist das denn passiert? Ist der etwa gebrochen?“
Manu nickt. „Bin vom Pferd gefallen, voll aufs Handgelenk.“
Carlotta verspürt einen Anflug von Mitleid. Kein Wunder, dass Manu so mies drauf ist. Sich in den Ferien den Arm zu brechen ist ja wohl so ziemlich das Bescheuertste, was einem passieren kann. Und dann auch noch den linken! Wenn’s der rechte wäre, könnte man sich wenigstens vor den Hausaufgaben und schriftlichen Arbeiten drücken, aber so?
„Tut’s sehr weh?“, erkundigt sie sich.
„Geht so“, antwortet Manu. „Ist schon ein paar Tage her.“ Sie wechselt das
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