Intruder 2
mehr in acht Metern Höhe, sondern über einer dreitausend Meter tiefen Schlucht, an deren Grund sich ein schimmerndes Silberhaar entlangschlängelte.
Mike hatte nicht damit gerechnet, aber nach einer Weile schlug die grandiose Szenerie auch ihn in den Bann. Der Rundflug dauerte knapp zwanzig Minuten, und Mike lauschte ebenso wie die drei anderen interessiert der Stimme in seinem Kopfhörer, die doch allerlei Interessantes über den Grand Canyon, seine Entstehungsgeschichte und die zum Teil uralten Indianerlegenden zu berichten wusste, die sich um ihn rankten.
Sie blieben stets über dem Canyon und tauchten niemals ganz darin ein, aber es war trotzdem eines der unglaublichsten Er-lebnisse seines bisherigen Lebens.
Es war wie vorhin, am Rand des Canyons, nur viel, viel intensiver. Die ganze Herrlichkeit der Schöpfung kam Mike zu Bewusstsein, und diesmal waren es nicht nur die räumlichen Dimensionen, die ihn bis ins Mark erschütterten. Es war vor allem die ungeheuerliche Macht der Zeit, die er spürte, denn das, was er sah, war vor allem ihr Werk. Es war dieser ver-gleichsweise winzige Fluss, der die gigantische Schlucht in den Boden gegraben hatte, mit keinem anderen Hilfsmittel als Zeit, Millionen und Millionen und Millionen Jahre Zeit, die vielleicht größte und erstaunlichste Kraft im Universum. Welche Rolle spielte die Existenz von etwas so Nebensächlichem wie der Menschheit angesichts einer Macht, die imstande war, etwas Derartiges zu erschaffen? Und wie gleichgültig war es erst, ob er die nächsten fünfundzwanzig Jahre glücklich und zufrieden in Deutschland verbrachte oder vollkommen isoliert in einer amerikanischen Gefängniszelle?
Es war dieser Gedanke, der ihn wieder in die Wirklichkeit zurückholte. Die Antwort war ganz einfach: Der Unterschied war gewaltig! Seinetwegen konnte diese ganze verdammte Schlucht im nächsten Moment wie ein Kartenhaus unter ihnen zusammenbrechen, wenn er dafür einigermaßen ungeschoren aus dieser Geschichte herauskam. Sie befanden sich bereits auf dem Rückweg. Es wurde Zeit, dass er seinen Plan in die Tat umsetzte.
Unauffällig sah er sich um. Frank, Stefan und auch der amerikanische Tourist wirkten völlig weggetreten und blickten aus glänzenden Augen hinaus. Stefan fotografierte fast ununterbrochen.
Mike hob seinen eigenen Apparat, machte wahllos ein paar Bilder und drückte das Objektiv der Digitalkamera schließlich gegen die Fensterscheibe. Jetzt hieß es, schnell zu sein.
Es war kein Problem. Er hatte die Schiebemechanik der kleinen Fenster unauffällig in Augenschein genommen, während er eingestiegen war. Sie funktionierte reibungslos. Mit einer raschen Bewegung schob er das Fenster auf, streckte beide Hände mit der Kamera nach draußen und hielt sie senkrecht nach unten. Die Tasche rutschte an seinem Arm hinab und blieb mit der Schlaufe an seiner linken Hand hängen. Sie begann wild hin und her zu pendeln.
Ein warmer Windstoß fauchte herein. Die drei anderen sahen überrascht auf, und die Musik in seinem Kopfhörer verstumm-te.
»Close the window!«, sagte der Pilot scharf und verriss vor Schrecken leicht den Steuerknüppel. Der Hubschrauber zitterte leicht.
»Nur einen Moment!«, antwortete Mike. »Ein paar Bilder. Sie werden sensationell!« Er drückte drei, vier Mal hintereinander wahllos auf den Auslöser, während sich der Pilot in seinem Sitz herumdrehte und ihn beinahe anschrie: »Close the damned window!«
»Sofort!« Mike zog die Kamera so hastig wieder herein, dass sie am Fensterrahmen hängen blieb und ihm beinahe aus den Fingern geprellt worden wäre. Hastig griff er zu, stellte sich dabei aber so ungeschickt an, dass die Schlaufe des Accessoire-täschchens über seine Hand rutschte. Er stieß einen überrasch-ten Laut aus, griff hastig zu und verfehlte die Schlaufe haarscharf. Die Tasche geriet in den Luftstrom der Rotoren, machte zu Mikes nicht geringem Schrecken einen deutlichen Satz nach oben und verschwand dann.
»Verdammt!«, fluchte er. »Gottverdammter Mist!«
Stefan beugte sich wortlos vor und knallte mit solcher Wucht das Fenster zu, dass das Glas knirschte. Der Pilot starrte Mike noch einen Moment lang wütend an und konzentrierte sich dann wieder darauf, die Maschine zum Rand des Grand Canyon zurückzusteuern. Sowohl Stefan als auch Frank blickten Mike an, als zweifelten sie an seinem Verstand.
Mike beachtete sie gar nicht, sondern blickte mit einem - wie er hoffte - oscarverdächtigen Ausdruck von Betroffenheit auf sein
Weitere Kostenlose Bücher