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Dr. Ohio und der zweite Erbe

Dr. Ohio und der zweite Erbe

Titel: Dr. Ohio und der zweite Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Stichler
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1
    Abenddämmerung,
im schmalen Licht der Lampe
schwebt der stille Staub
    Draußen wurde es dunkel. Höpfner wandte den Kopf von seinem Schreibtisch zum Fenster. Müde strich er sich über die spärlichen grauen Haare, die er hinten zu einem kleinen Zopf zusammengebunden hatte. Die Bäume standen wie schwarze Schatten vor der Dunkelheit und raschelten leise, als wollten sie etwas sagen. Unwillig drehte Höpfner sich wieder um. Ich werde alt, dachte er.
    Er saß in seiner Bibliothek über einem schmalen Band mit japanischen Haikus, kleinen, dreizeiligen Gedichten. Mit seinen großen, groben Händen schlug er ab und zu eine Seite des dünnen Papiers um. Zwischen die Gedichte waren in loser Folge feine japanische Tuschezeichnungen von Naturmotiven eingestreut. Ein knochiger, schwarzer Ast, an dem ein orange leuchtender Lampion hing, eine kahle, schneebedeckte Bergspitze, um die wie eine lange Kette eine Schar schmaler Vögel zog, Blumen und ein grauer See unter dem blassen Vollmond.
    Höpfner knipste eine kleine Schreibtischlampe an, die seinen Arbeitsplatz beleuchtete, den Rest des Raums aber nahezu im Dunkeln ließ.
    „Machen Sie doch Ihr Licht an“, sagte er unvermittelt in die Tiefe des Raums, dessen Ausmaße bei den düsteren Lichtverhältnissen nur zu erahnen waren. Die Nacht höhlte die Ecken zu dämonenvollen Löchern, zauberte lange, schwarze Gänge zwischen die hohen, dicht mit Büchern vollgestopften Regale, die wer weiß in welches Verlies führten.
    Ein paar Meter von Höpfner entfernt war ein Brummen zu vernehmen, dann ein seidenes Rascheln. Gleich darauf ging am Schreibtisch seines Assistenten Värie Wieri ein ähnliches Licht an wie bei Höpfner.
    Wieri, den Höpfner für seine Studien über den Calvinismus eingestellt hatte, saß tief gebeugt über einem dicken Wälzer und machte sich eifrig Notizen. Er war Finne und galt als Spezialist für Fragen zum Calvinismus. Von Höpfner hatte er sich hauptsächlich wegen der gut sortierten Bibliothek anheuern lassen. Höpfners Urgroßvater hatte die Villa im Naturpark Schönbuch bei Tübingen ursprünglich als Sommerresidenz gebaut und dort den hohen Raum für seine Sammlung alter Bücher eingerichtet. Mit der Zeit hatten seine Erben, Inhaber einer Buchhandelskette, einen beachtlichen Bestand an Werken gehortet, die inzwischen nicht mehr alle im Stammsitz der Familie gelagert wurden. Die Dachböden diverser Landhäuser in Italien und der Schweiz waren ebenfalls vollgestopft mit den Zeugnissen der Sammelleidenschaft von Höpfners Vorfahren.
    Wieri rieb sich seine wässrigen Augen und ließ seinen Bleistift fallen. Er war ein schmaler, kleiner Mann mit einem unangenehm starren Blick. Er fixierte Höpfner, musterte mit einem flügelschlagschnellen Blinzeln die breiten Schultern und das große, flächige Gesicht seines Chefs.
    „Was machen Sie?“, fragte er leise, fast lauernd, als könne Höpfner eine falsche Antwort geben.
    Höpfner sah ihn einen Augenblick erstaunt an, dann grinste er breit und seine Augen bekamen einen verschmitzten, schalkhaften Ausdruck, der sein graues Gesicht wieder jung erscheinen ließ.
    „Ach“, sagte er harmlos. „Ich habe hier ein kleines Bändchen mit japanischen Gedichten, das ich noch durchblättere.“
    Falsche Antwort. Wieris Miene gefror zu Eis. Eine Zeit lang starrte er seinen Chef reglos an, als warte er auf eine Entschuldigung oder ein verlegenes   Das war nur Spaß. Natürlich beschäftige ich mich mit Calvin . Höpfner starrte ebenso zurück, mit einem feinen Lächeln um die Lippen.
    „Sie wollten noch raus, in Ihre Scheune da hinten“, sagte Wieri schließlich resigniert und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch um.
    „Ach, ich weiß nicht. Ich hab gar keine Lust mehr rauszugehen“, sagte Höpfner und sah zum Fenster hinaus. „Und dunkel ist es auch schon.“
    „Wenn Sie es jetzt machen, müssen Sie es morgen nicht mehr tun“, murmelte Wieri. Er hatte sich schon wieder in sein Buch vertieft.
    Höpfner lachte.
    „Sie legen ja eine echt schwäbische Haltung an den Tag, Wieri“, sagte er. Er seufzte lustlos. „Aber Sie haben recht. Ich geh mal.“
    Wieri nickte, ohne von seinem Schreibtisch aufzublicken. Höpfner erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl und ging hinaus.
    Er ging die Treppe im Dunkeln hinunter. Auf den unteren Stufen kam ihm die Haushälterin entgegen. Als sie Höpfner dicht vor sich bemerkte, stieß sie einen erschrockenen Schrei aus.
    „Herr Höpfner!“, rief sie. „Können Sie kein

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