Irgendwann passiert alles von allein
und hielt Ausschau nach der Fremde, nach Gesichtern und Geschichten. Einmal sah ich einen jungen Mann an mir vorbeigehen, sein Gesicht hatte schon ein paar Falten, er trug einen schweren Rucksack auf den Schultern, der ihn ein wenig gebeugt gehen ließ. Er war braun gebrannt. Gerne hätte ich ihn gefragt, woher er gerade käme, wo er wie lange gewesen sei, was er dort erlebt habe und wie es nun weitergehe. Aber ich traute mich nicht. Ich ging zu McDonald’s, aß Pommes und einen Burger und trank eine Cola. Ein paar Meter weiter vorne sah ich einen Kiosk, ich wollte es mit einer Zeitschrift oder Zeitung versuchen. Ich kaufte mir eine Ausgabe des Wissensmagazins P. M., mit Maya-Pyramiden auf dem Titel. Sie erinnerten mich an Leo und seine UF O-Theorien . Ich musste grinsen, doch dann langweilte mich die Zeitschrift, und nicht nur sie. Ich langweilte mich. Ich war alleine, ich wusste nichts anzufangen |216| mit mir. Ich verließ den Bahnhof und schlenderte immer noch mit den Händen in den Taschen durch die Straßen Passaus. Allerdings achtete ich darauf, mich nicht zu weit vom Bahnhof zu entfernen; ich wollte mich nicht verlaufen. 150 Meter entfernt war ein Hotel. Ich beschleunigte meine Schritte, und als ich vor dem Haus stand, ging ich ein paarmal auf und ab, um Mut zu fassen. Die Tür war aus Glas, ihr Griff aus golden glänzendem Messing. Sie war schwer und es erforderte Kraft, um sie aufzudrücken. Der Raum war mit einem apricotfarbenen Teppich ausgelegt, hinter dem Tresen aus dunklem Holz stand ein Mann. Er trug einen schwarzen Anzug, unter dem ein weißes Hemd leuchtete.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
Ich antwortete nicht sofort. Erst nachdem ich etwas herumgedruckst hatte, fragte ich:
»Wie viel kostet ein Zimmer bei Ihnen?«
»Das hängt ganz davon ab, welches Sie wünschen. Wir haben verschiedene Preisklassen.«
Er bückte sich, wenn er mit mir sprach, und verschränkte dabei die Hände hinter dem Rücken.
»Dürfte ich den Herrn fragen, wie alt er denn ist?«
Ich hob meinen Kopf und sah ihm nun aus dem dunklen Schatten, den mein Cap über mein Gesicht warf, direkt in die Augen.
»Nein.«
Ich verließ das Hotel und ging zurück zum Bahnhof. Als ich die Bahnhofshalle betreten wollte, sah ich einige Meter rechts vom Eingang ein Bündel liegen. Es |217| war ein Mensch, ein Penner. Sein massiger Körper war in einen grünen Parka gehüllt, sein Gesicht hatte er der Wand zugewandt, sodass ich nichts außer schwarzgrauem Bartgestrüpp erkennen konnte. Er schlief.
Ich griff in meine Hosentasche, zog die 3800 Mark hervor und steckte sie dem Mann in die Tasche seines Parkas. Dann fuhr ich nach Hause.
Informationen zum Buch
Kiffen, Skaten, vom aufregenden Großstadtleben träumen. So sieht das Leben von Johannes, Schenz, Leo und Sam aus. Das ändert sich schlagartig, als Leo den drei anderen von einem alten, leer stehenden Haus erzählt, in dem die vier jede Menge Geld finden. Nun steht ihnen die ganze Welt offen – meinen sie zumindest. Denn im Geldrausch wird ihre Freundschaft zur Nebensache und sie übersehen sämtliche Vorboten der Katastrophe, auf die sie direkt zusteuern.
Informationen zum Autor
Philipp Mattheis
, geboren 1979 im Münchner Speckgürtel, hat Philosophie studiert und arbeitete von 2008 bis 2011 als Redakteur beim Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, jetzt. de. Er schreibt für die Süddeutsche Zeitung, S Z-Magazin , Playboy, Neon und Geo Epoche. Er lebt in München und Schanghai.
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