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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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hier los?«, fragte der Schnauzbärtige, als er sah, dass das gesamte Stockwerk abgedunkelt war und hin und wieder noch eine Kerze flackerte. Wir antworteten nicht.
    Sie öffneten Tür für Tür, leuchteten mit Taschenlampen |190| in die dunklen Räume hinein. Sie schüttelten den Kopf über das, was sie sahen.
    Sie fanden Sam im Bad. Er kauerte mit einem Messer in der Hand in der Badewanne und fuchtelte damit durch die Luft, als bekämpfe er fliegende Geister.
    »Sind Sie Samuel Obermayer?«
    Sam antwortete nicht, aber der Polizist sagte ja auch »Samuel«, und wer nannte Sam schon so? Immer wieder bewegte sich das Messer durch die Luft, stach zu, schnellte zurück, stach.
    »Uns liegt eine Beschwerde wegen Ruhestörung vor.«
    Dann sah er sie an. Mit wirren Augen.
    »Ihr, ihr, ihr«, sagte er und dann zischte es aus ihm heraus: »Haut-haut ab! S-s-sie hat euch geschickt! Versch-, verschwindet! Verschwindet! Haut ab!«
    Er stand auf und streckte den beiden Polizisten das Messer entgegen. Er wollte etwas sagen, aber er brachte nichts außer zischenden Geräuschen heraus. In seinen Mundwinkeln bildeten sich kleine Speichelblasen. Ein Rinnsal lief aus einem Mundwinkel das Kinn hinab und verfing sich in den Bartstoppeln. Er hob den Arm mit dem Messer über seinen Kopf. Noch stand er zwei Meter von den Beamten entfernt. Sein Bein hob sich, er wollte über den Badewannenrand steigen.
    Der Schnauzbärtige zog seine Pistole aus dem Halfter.
    »Nicht!«, schrie Fabian. »Der ist krank!«
    Doch der Polizist zielte mit seiner Pistole auf das wirre Wesen in der Badewanne.
    »Herr Obermayer, hören Sie uns?«, sagte der andere.
    |191| Wieder Sams Zischen, Geflüster. Er nahm keine Notiz von uns. Seine Augen suchten wirr die Luft ab. Kurz fanden sie Halt und verloren ihn sofort wieder.
    »Sam!«, schrie ich. »Leg das Messer weg!« Ich trat einen Schritt auf ihn zu, um ihn an der Schulter zu fassen. Doch der Polizist hielt mich zurück.
    »Nicht schießen«, sagte Fabian nun. Er flehte wie ein kleines Kind. »Nicht schießen.«
    Mit einem Ruck sauste der Arm des Polizisten auf Sams Handgelenk zu. Der schrie schrill wie eine Ratte auf und versuchte, sich zu befreien. Die andere Hand des Polizisten griff nach dem Küchenmesser. Mit irgendeinem Polizeigriff verdrehte er Sams Handgelenk, sodass er das Messer fallen lassen musste.
    Sekunden später sausten Handschellen um seine Gelenke. Sam wimmerte und schrie und flüsterte. Mit einem Funkgerät forderte der Schnauzbärtige nun auch noch einen Krankenwagen an.

|192| Achtzehn
    Am darauffolgenden Tag wurde Sam in die Psychiatrie eingeliefert. Wir erfuhren davon erst Tage später. Ich rief irgendwann bei seinen Eltern an und fragte, wo er sei. »Paranoide Psychose«, sagte der Vater am Telefon und so etwas wie »Verfolgungswahn«. Er klang sehr unfreundlich. Ich dachte mir, wir lassen Sam erst einmal eine Weile in Ruhe, bis er da wieder raus ist.
    Nachdem die Polizei die Party beendet und die Feuerwehr die Flammen auf dem Komposthaufen gelöscht hatte, waren wir alle nach Hause gegangen. Niemand hatte sich verantwortlich gefühlt, das Chaos zu beseitigen. Niemand wusste, dass er Sam an diesem Abend für lange Zeit zum letzten Mal gesehen hatte. Wir dachten, er käme in ein paar Stunden zurück mit Valium im Blut, um ihn von seinem Trip herunterzubringen. Leo hatte gesagt, er müsse zum Zafko, etwas Geschäftliches besprechen. Kurz bevor ich nach Hause gehen wollte, war Schenz auf mich zugekommen. Er hatte verwirrt gewirkt, als sei er gerade aus einem langen Traum aufgewacht.
    »Wo ist eigentlich Sina? Sie war doch hier?«
    Ich hatte den Kopf geschüttelt und war nach Hause gegangen.
     
    |193| Ich schlief schlecht in dieser Nacht. Wenn ich für ein oder zwei Stunden in einen Schlummer fiel, träumte ich wirr und durcheinander. Es war kein zusammenhängender Traum, eher einzelne Fetzen von Bildern, die sich gegenseitig ablösten und von kurzen Wachphasen unterbrochen waren. Ich sitze am Steuer eines Autos, Sina neben mir, und rase mit 100   km/h durch Meining. Es gibt keine Bremsen, ich weiß nicht, welche Funktion die vielen Knöpfe und Hebel haben. Ich versuche, mich auf das Lenken zu konzentrieren und den Hindernissen auszuweichen. Sina sieht mich genervt an, ihr ganzes Gesicht wird von der Schwerkraft nach unten zu einer länglichen Fratze verzogen. Wir rasen auf den Kirchturm mit seiner Zwiebelkuppel zu. Im nächsten Moment steht Leo vor mir, greift in eine Tüte mit bunten Pillen

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