Irrungen, Wirrungen
früh gekommen und gleich tot), da hätte sie's auch gehabt. Es flög einen so an und sei dann wie zum Sterben. Aber eine Tasse Melissentee, das heißt Klostermelisse, da fiele es gleich wieder ab und man sei mit eins wieder wie 'n Fisch im Wasser und ordentlich aufgekratzt und fidel und ganz zärtlich. »Ja, ja, gnäd'ge Frau, wenn erst so vier um einen rumstehn, ohne daß ich den kleinen Engel mitrechne...«
Lene bezwang nur mit Müh ihre Verlegenheit und bat, um wenigstens etwas zu sagen, um etwas Melissentee, Klostermelisse, wovon sie auch schon gehört habe.
Während oben in der Giebelstube dies Gespräch geführt wurde, hatte Botho Platz genommen, aber nicht innerhalb der windgeschützten Veranda, sondern an einem urwüchsigen Brettertisch, der, in Front derselben, auf vier Pfählen aufgenagelt war und einen freien Blick hatte. Hier wollt er sein Abendbrot einnehmen. Er bestellte sich denn auch ein Fischgericht, und als der »Schlei mit Dill«, wofür das Wirtshaus von alter Zeit her ein Renommee hatte, aufgetragen wurde, kam der Wirt, um zu fragen, welchen Wein der Herr Baron, er gab ihm diesen Titel auf gut Glück hin, beföhle.
»Nun ich denke«, sagte Botho, »zu dem delikaten Schlei paßt am besten ein Brauneberger oder sagen wir lieber ein Rüdesheimer, und zum Zeichen, daß er gut ist, müssen Sie sich zu mir setzen und bei Ihrem eigenen Weine mein Gast sein.«
Der Wirt verbeugte sich unter Lächeln und kam bald danach mit einer angestaubten Flasche zurück, während die Magd, eine hübsche Wendin in Friesrock und schwarzem Kopftuch, auf einem Tablett die Gläser brachte.
»Nun lassen Sie sehn«, sagte Botho. »Die Flasche verspricht alles mögliche Gute. Zuviel Staub und Spinnweb ist allemal verdächtig, aber dieser hier... Ah, superbe. Das ist siebziger, nicht wahr? Und nun lassen Sie uns anstoßen, ja auf was? Auf das Wohl von Hankels Ablage.«
Der Wirt war augenscheinlich entzückt, und Botho, der wohl sah, welchen guten Eindruck er machte, fuhr deshalb in dem ihm eigenen leichten und leutseligen Tone fort: »Ich find es reizend hier, und nur eins läßt sich gegen Hankels Ablage sagen: der Name.«
»Ja«, bestätigte der Wirt, »der Name, der läßt viel zu wünschen übrig und ist eigentlich ein Malheur für uns. Und doch hat es seine Richtigkeit damit, Hankels Ablage war nämlich wirklich eine Ablage, und so heißt es denn auch so.«
»Gut. Aber das bringt uns nicht weiter. Warum hieß es Ablage? Was ist Ablage?«
»Nun wir könnten auch sagen: Aus- und Einladestelle. Das ganze Stück Land hierherum« (und er wies nach rückwärts) »war nämlich immer ein großes Dominium und hieß unter dem Alten Fritzen und auch früher schon unter dem Soldatenkönige die Herrschaft Wusterhausen. Und es gehörten wohl an die dreißig Dörfer dazu, samt Forst und Heide. Nun sehen Sie, die dreißig Dörfer, die schafften natürlich was und brauchten was, oder was dasselbe sagen will, sie hatten Ausfuhr und Einfuhr, und für beides brauchten sie von Anfang an einen Hafen- oder Stapelplatz, und konnte nur noch zweifelhaft sein, welche Stelle man dafür wählen würde. Da wählten sie
diese
hier, diese Bucht wurde Hafen, Stapelplatz, ›Ablage‹ für alles, was kam und ging, und weil der Fischer, der damals hier wohnte, beiläufig mein Ahnherr, Hankel hieß, so hatten wir eine
›Hankels Ablage‹.
«
»Schade«, sagte Botho, »daß man's nicht jedem so rund und nett erklären kann«, und der Wirt, der sich hierdurch ermutigt fühlen mochte, wollte fortfahren. Eh er aber beginnen konnte, hörte man einen Vogelschrei hoch oben in den Lüften, und als Botho neugierig hinaufsah, sah er, daß zwei mächtige Vögel, kaum noch erkennbar, im Halbdunkel über der Wasserfläche hinschwebten.
»Waren das wilde Gänse?«
»Nein, Reiher. Die ganze Forst hierherum ist Reiher-Forst. Überhaupt ein rechter Jagdgrund, Schwarzwild und Damwild in Massen, und in dem Schilf und Rohr hier Enten, Schnepfen und Bekassinen.«
»Entzückend«, sagte Botho, in dem sich der Jäger regte. »Wissen Sie, daß ich Sie beneide. Was tut schließlich der Name? Enten, Schnepfen, Bekassinen. Es überkommt einen eine Lust, daß man's auch so gut haben möchte. Nur einsam muß es hier sein, zu einsam.«
Der Wirt lächelte vor sich hin, und Botho, dem es nicht entging, wurde neugierig und sagte: »Sie lächeln. Aber ist es nicht so? Seit einer halben Stunde hör ich nichts als das Wasser, das unter dem Steg hingluckst, und in diesem
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