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Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Istanbul: Ein historischer Stadtführer

Titel: Istanbul: Ein historischer Stadtführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kreiser
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Gram, sie nicht zu sehn, entbrennen Herzen.
    Die Dichter der osmanischen Moderne überwanden die Diwanpoesie, ohne das große Thema «Istanbul im Wandel der Jahreszeiten» aufzugeben. Orientierungsinstanz war jetzt der französische Parnass. So hat der unbestritten wichtigste türkische Poet an der Wende zum 20. Jahrhundert, Tevfîk Fikret (1869–1915), die «Monatsgedichte» seines französischen Kollegen, François Coppée, nachempfunden. Hier wird der März mit einer «ständig launischen, nervösen Frau» verglichen, der April ist ein «Traum mit Flügeln, der sich auf einem Blütenzweig niedergelassen hat», der Mai hingegen ein «Mädchen aus dem Dorf», «einfach und herzig, kokett und melancholisch».
    Obwohl strenge Winter die Stadt selten heimsuchen – das Überfrieren des oberen Goldenen Horns im Jahr 1751 war eine große Ausnahme und Schnee bleibt nur wenige Tage liegen –, wurde (und wird!) die Jahreszeit von der Mehrheit der Bevölkerung wenig geschätzt. Die schlecht beheizbaren Holzhäuser und das teure Brennmaterial zwangen die Menschen, sich um die Kohlenbecken
(tandir başi)
zu versammeln. Der volkstümliche Schriftsteller Mehmed Tevfîk (1843–1893) schilderte eine Dezembernacht im Istanbul des 19. Jahrhunderts:
    Die Jahreszeit brachte es mit sich, daß die Unterhaltungen am Wärmekasten in den Frauengemächern eben erst in Schwung gekommen waren. Bekanntlich drängen sich die Frauen an den kalten Winterabenden, wenn es draußen schneit, rings um die Kohlenbecken. Wenn die Wärme sich wohlig über ihren ganzen Körper ausgebreitet hat, da scheint sich auf einmal ihre Zunge zu lösen. Tausend nichtige Worte kann man dann um einen
Para
haben. Es gibt eine Unmenge Geschichten, die beim
Tandir
von Mund zu Mund gehen … wie die Erzählungen von der Mittwochfrau, die Geschichten von dem Badegespenst und dem Wüstengeist, dann alle möglichen Vorkommnisse, denen man Wichtigkeit beimißt, z.B. daß, wenn die Schranktüre offen bliebe, dies ein Zeichen dafür sei, daß der Mund des Feindes sich öffnen (und er also Böses von einem spreche) werde; daß man, wenn die Pantoffeln übereinander zu liegen kämen, in die weite Welt müsse, daß Gäste kommen würden, wenn die Katze mit den Augen blinzle oder wenn sie beim Putzen ihren Fuß um den Hals legte und dergleichen mehr. Es gäbe ein dickes Buch, wenn man sie alle zusammenschriebe. Bei derartigen ganz absonderlichen Geschichten sitzt die ganze Familie, Groß und Klein, um den
Tandirbaşi
herum am bestimmten Platz. Oben auf dem
Tandir
tischt man zierlich allerlei Obst, Krüge mit Hirsebier
(boza)
und eine Schale voll
Leblebi
(geröstete Kichererbsen) auf. Die Jugend veranstaltet nun Spiele und Unterhaltungen wie: «Gerade oder ungerade» und dergleichen. Auf der anderen Seite erzählen die alten Frauen Märchen und Geschichten.
«Glücklich die Armee …»
    Die türkischen Eroberer wussten, dass vor ihnen die Araber in regelmäßigen Abständen (vor allem 674, 717 und 782) unter den Mauern Konstantinopels gestanden hatten. Das erst im 9. Jahrhundert sicher belegte Prophetenwort (
hadîs
) «Glücklich die Armee, die sie (die Stadt Konstantinopel) erobert, glücklich der Führer, der sie nimmt» gehörte bei den Türken zu den bekanntesten Hadisen überhaupt. Manche errechneten aus dem Zahlenwert bestimmter Buchstaben das Datum von Mehmeds Belagerung und Sieg (857 der Hidschra = 1453 A. D.). In Istanbul schmückt diese arabische Formel noch heute Bauten wie das Portal des alten Kriegsministeriums (jetzt Eingang zum Park der Universität) und die Aya Sofya.
    Die Chronisten haben sich vor allem mit einer Belagerung beschäftigt, die unter dem Oberbefehl eines Prophetengefährten (
ansârî
) namens Ayûb (türk. Eyüb/Eyüp) gestanden haben soll. Eine anonyme Chronik widmet diesen vorosmanischen Kriegszügen viel Raum. Im Jahre 52 der Hidschra (672 A. D.) kamen Ebu Eyüb-i-Ansârî mit 50.000 Leuten sowie Abdullâh bin Abbâs und Abdullâh bin Zeyd mit 500 Schiffen, sie belagerten Konstantinopel, schlossen es sechs Monate ein und bekriegten es. Schließlich machten sie sich an einem Freitag zum Angriff bereit. Es war ein großer Kampf. Plötzlich wurde Ebu Eyüb-i-Ansârî an der Stirn tödlich getroffen. In dieser Situation konnten sie die Stadt nicht einnehmen und kehrten wieder in ihre Heimat zurück.
    Da Ebu Eyüb-i-Ansârî wusste, dass er sterben würde, traf er die Verfügung: «Entblößt eure Schwerter und greift die Festung an. Wo ihr auch

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