Italienische Verführung
konnte.
Es war zu spät, an Diana oder an irgendetwas anderes zu denken als daran, dass Warwick betrogen hatte und dass er selbst es jetzt war, der darunter leiden musste …
Anthony spürte, wie ein scharfer Hieb seinen Oberarm traf. Zuerst spürte er den Schmerz kaum, doch er begann rasch, stärker zu werden, breitete sich in seinem Arm und in seiner Schulter aus, gemeinsam mit dem Blut, das langsam zu fließen begann und Anthony die kalte Haut unter dem Hemdsärmel wärmte. Um ihn herum machten die anderen Männer laut ihrer Wut und ihrem Schrecken Luft. Auch Anthony stieß einen wütenden Fluch aus, weil er sich von dem ältesten Trick aus dem Lehrbuch für Feiglinge hatte übertölpeln lassen.
Aber seine Finger umklammerten immer noch die Pistole. Die Kugel hatte keinen Knochen und keine Sehnen verletzt. Er war zum Sterben hergekommen, er hatte den Tod fast gesucht und ihn als sein Schicksal betrachtet. Doch es war nicht so gekommen. Er hatte einen Streifschuss abbekommen, das war alles. Und zehn Schritte von ihm entfernt sah er Edwards aschgraues Gesicht, das Kinn heruntergefallen, mit vor Schreck und Entsetzen offenem Mund. Aus der Mündung seiner abgeschossenen Pistole stieg noch ein Rauchwölkchen auf. Sein Hemd bot ein so breites Ziel, wie man es sich nur wünschen konnte.
„Hol dir jetzt den Bastard, Tonio!“, schrie Gianni in wütendem Italienisch. „Schick diesen Engländer in die Hölle, diesen verdammten Feigling!“
Alles schien sich in diesem einzigen Augenblick zu konzentrieren: Warwicks verblüfftes Gesicht, der hagere Arzt, der sich niederkniete, um seine Tasche zu öffnen, der Onkel, der die Bibel auf sein Herz presste, der graue Morgenhimmel und die roten Flecke auf dem weißen Marmor zu seinen Füßen. Doch ein Bild trat am deutlichsten hervor: Warwick, wie er schrill um Gnade jammernd auf die Knie fiel, während sich sein Gesicht mit dem Ausdruck entsetzter Erwartung knapp über Anthonys Pistole befand.
Wahrscheinlich war Diana immer noch hinter ihm und wurde Zeugin dieser Dummheit. Hatte es so sein sollen? Hatte es nicht mit seinem Tod enden sollen?
Ich liebe dich, cara , meine Braut, mein Liebling.
Während Warwick immer noch vor ihm kniete, ließ Anthony die Pistole sinken. Der Schmerz schoss dabei bis in seine Fingerspitzen und zurück in das zerfetzte Fleisch. Anthony richtete die Mündung zur Seite, und mit einem leisen Schmerzenslaut drückte er ab und schoss in den Boden.
„Das – das ist meine Satisfaktion“, sagte er. Die Pistole entglitt seiner Hand. Er wandte sich zur Kutsche um, dorthin, wo ihm die Erlösung winkte und wo Diana wartete.
Sie brachte es nicht über sich, wegzuschauen.
Obwohl Diana wusste, dass Anthony sterben konnte, blieb sie. Obwohl sie vielleicht Dinge sehen würde, die sie ein Leben lang verfolgen würde, sah sie hin. Wie auch nicht? Da stand Anthony, ihre große Liebe. Ihr Schicksal war zu sehr mit ihm verwoben, als dass sie anders hätte handeln können.
Der Morgen war kühl und feucht und ihr helles Kleid viel zu dünn. Doch sie wollte, dass er sie im Frühlicht erkannte und wusste, dass sie hier war. Sie hatte erst gar nicht versucht, das Duell zu verhindern, weil sie befürchtete, Anthony dadurch nur noch mehr anzuspornen, sein Vorhaben durchzusetzen. Sie stand da und sah zu und fürchtete sich vor dem, was als Nächstes geschehen würde, auch wenn sie sich danach sehnte, dass alles vorbei war.
Dann hatte Anthony sie entdeckt. Sein Blick war über die Entfernung hinweg wie eine zärtliche Liebkosung gewesen, die sie miteinander verband. Süße Hoffnung keimte in ihrem Herzen, als sie zu glauben wagte, er hätte sie und ihre Liebe erwählt.
Doch wann hatte Liebe je über die Ehre triumphiert? Sie sah, wie er den Kopf schüttelte, ihre stumme Bitte zurückwies und sich von ihr fort und dem anderen Mann zuwandte. Er hob seine Pistole, ging die fünf Schritte, drehte sich Edward zu und lauschte seinem Sekundanten, der laut zählte.
Eins, zwei …
Aus tiefster Seele flüsterte sie alle Gebete, die sie kannte, flehte, bat voll qualvoller Angst und feilschte mit Gott um Anthonys Leben.
Drei …
Großer Gott, sie liebte ihn doch, ihn, ihr Ein und Alles, ihre große Liebe, den Mann, der bestimmt war, ihr Liebhaber und Ehemann zu sein. Was jetzt auch geschehen mochte, sie würde ihn immer lieben.
Vier …
Eine Ewigkeit schien zwischen jeder Zahl zu vergehen, und doch verging die Zeit viel zu schnell.
Sie konnte nicht länger hinsehen.
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