Ivanhoe
und schwöre ab – heda! beim heiligen Dunstan, unser Vetter Wilfried ist verschwunden, und wenn nicht meine Augen vom Fasten schwach geworden sind, so habe ich ihn doch eben noch hier gesehen.«
Alle schauten sich um, Ivanhoe war fort. – Endlich erfuhr man, daß ein Jude nach ihm gefragt habe, und daß er nach kurzem Gespräch mit dem Mann in Gurths Begleitung das Schloß verlassen habe. Kaum hatte Athelstane Rowenas Hand losgelassen, so eilte die Lady in größter Bestürzung hinaus.
»Weiß der Geier!« rief Athelstane. »Ich hatte mir eigentlich eingebildet, einen Kuß zum Danke zu bekommen. Ich wende mich nun wieder zu Euch, edler König Richard...«
Aber König Richard war auch fort, und niemand wußte, wohin. Schließlich erfuhren sie, daß er in den Schloßhof geeilt sei und dort den Juden, der mit Ivanhoe gesprochen hätte, vor sich habe bringen lassen. Er habe kaum ein paar Worte mit ihm gewechselt, so sei er auf sein Pferd gestiegen, habe dem Juden befohlen, auch aufzusitzen, und sei in gestrecktem Galopp davongeritten.
»Nun, so wahr ich lebe!« rief Athelstane: »Zernebock hat in meiner Abwesenheit Besitz von meinem Schlosse genommen. Ich komme in meinen Totenkleidern zurück als ein aus dem Grabe Erstandener und jedermann, mit dem ich rede, verschwindet, sowie er meine Stimme hört. Doch was hilft es, davon zu reden? – Kommt, meine Freunde, die ihr noch da seid, folgt mir in das Speisezimmer, ehe noch jemand von uns verschwindet. Ich denke, es ist so reich besetzt, wie es das Leichenmahl eines alten sächsischen Edeln sein muß; wollten wir noch länger zögern, wer weiß, ob nicht der Teufel mit dem Abendessen davonfliegt?«
Siebenunddreißigstes Kapitel.
Der Schauplatz unserer Erzählung ist nun wieder das Präzeptorium von Templestowe, zu der Stunde, als das blutige Würfelspiel um Tod und Leben für Rebekka anheben sollte. Es war ein großes Leben und Treiben, ganz als wären die Bewohner der Umgegend weit und breit zu einer Kirmeß oder einem ländlichen Feste hier versammelt. Die Augen einer großen Menge waren auf das Tor des Präzeptoriums gerichtet, um die Prozession zu schauen, und eine noch größere Menge hatte den schon zum Hause gehörigen Turnierplatz umringt. Dieser Platz war sehr sorgfältig zu militärischen und ritterlichen Übungen geebnet und bildete die obere Fläche eines sanften anmutigen Hügels, war mit einem Pfahlwerk umgeben und, da die Tempelritter gern zu ihren Übungen Zuschauer einluden, von Bänken und Galerien umschlossen. Für das anberaumte Schauspiel war am östlichen Ende der Schranken ein Platz für den Großmeister errichtet, um den herum Ehrenplätze für die Ordensritter angebracht waren. Darüber wehte die heilige Fahne mit dem Wahrspruch und Feldgeschrei der Templer: Beauséant.
Am entgegengesetzten Ende der Schranken war ein Pfahl errichtet, um den ein Stoß Reisig aufgehäuft war. Der Pfahl war tief in den Boden gerammt und in der Mitte war für das Opfer Platz gelassen. Das Reisig, dessen Flammen es verzehren sollten, war so geschichtet, daß ein Weg bis zum Pfahle offen lag. Die Ketten, mit denen die Unglückliche festgeschlossen werden sollte, hingen vom Holze herab. Neben dieser Stätte des Todes standen vier schwarze Sklaven, deren afrikanische Gesichtsfarbe Furcht einflößte, weil sie den Leuten zu jener Zeit noch nicht vertraut genug war, um sie als etwas alltägliches zu betrachten.
Das Volk erblickte in diesen Menschen Teufel, die im Begriffe waren, ihre höllischen Werke vorzuführen. Einer darunter, der der oberste zu sein schien, gab ihnen Weisungen, nach denen sie das Stroh und Brennholz ordneten und zurecht legten. Sie sahen auch nicht nach der Menge hin und schienen völlig gefühllos und teilnahmslos zu sein und nur bedacht darauf, ihren gräßlichen Dienst zu tun. Wenn sie miteinander flüsterten, öffneten sie die schwulstigen Lippen und fletschten ihre weißen Zähne, als freuten sie sich schon auf das bevorstehende Trauerspiel. Die Leute ringsum sahen daher in ihnen böse Geister, mit denen die Hexe einst im Bunde gestanden habe und die nun, da die Zeit der gottlosen Frau gekommen sei, die furchtbare Strafe an ihr vollziehen wollten. Die Glocke der Kirche zum heiligen Michael in Templestowe erklang und gab das Zeichen zum Beginn der feierlichen Handlung. Mit Grausen vernahm alles Volk das Geläut. Aller Augen wandten sich nach dem Präzeptorium, denn nun mußten der Großmeister, der Kämpfer und die Verbrecherin bald
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