Ivanhoe
die Mauern in ihrer ganzen Ausdehnung zu besetzen, dennoch erwarteten sie mit ruhiger Entschlossenheit den Sturmangriff.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
An dieser Stelle muß unsere Erzählung wieder zurückgreifen, um den Leser nachträglich über einen andern Teil der Ereignisse zu unterrichten. Als Ivanhoe zu Boden sank und von aller Welt verlassen schien, hatte Rebekka ihren Vater durch Bitten dazu bewogen, daß er den jungen tapfern Krieger aus den Schranken tragen und in das Haus bringen ließ, das sie zurzeit in der Vorstadt von Ashby bewohnten.
»Es tut auch mir so weh,« hatte Isaak gesagt, »sein junges Blut auf die Erde fließen zu sehen, als wenn mir goldene Byzantiner aus dem Beutel fielen. Du bist bewandert in der Heilkunst und kennst die Kräuter und ihre Kraft und weißt Elixiere zu brauen. Tu denn, was dich dein Herz heißt. Du bist ein gutes Mädchen, ein Segen, eine Krone, ein Freudengesang für mich und das Volk meiner Väter.« Bei ihrer barmherzigen Handlung war aber Rebekka den Blicken des Brian de Bois-Guilbert ausgesetzt, der zweimal an ihr vorüberritt und das kühne feurige Auge auf die schöne Jüdin richtete. Welche Folgen diese Bewunderung ihrer Reize hatte, wissen wir bereits. Rebekka brachte indessen den Verwundeten ohne Säumen nach ihrer derzeitigen Wohnung. Sie untersuchte selbst seine Wunden und legte den Verband an. Die schöne Rebekka war in allen Wissenschaften ihres Volkes unterrichtet, die ihr fähiger und energischer Geist annahm, sichtete und ausbaute. Ihre Kenntnisse in der Medizin und Wundheilkunst verdankte sie der Tochter eines der berühmtesten jüdischen Ärzte, einer schon alten Jüdin, die Rebekka wie ihre Tochter liebte. Diese Jüdin war als ein Opfer des damals noch verbreiteten Fanatismus gefallen, aber ihre Geheimnisse hatte sie durch ihre talentvolle Schülerin gerettet. Rebekka, die sich ebensosehr durch Wissenschaft wie durch Schönheit auszeichnete, genoß allgemeine Achtung und Liebe bei ihrem Volke. Man erblickte in ihr eine jener hochbegabten Frauen, von denen die heilige Schrift erzählt. Ihr Vater selber ließ dem Mädchen in seiner grenzenlosen Verehrung ihrer Gaben und seiner Liebe zu ihr mehr Freiheit, als ihrem Geschlecht sonst gewährt wird. Er gab auch soviel auf ihre Meinung, daß er sich in den meisten Fällen nach ihrem Urteil richtete.
Als Ivanhoe in Isaaks Wohnung anlangte, war er noch immer im Zustand der Bewußtlosigkeit, aber Rebekka wußte die geeigneten Heilmittel anzuwenden und versicherte ihrem Vater, daß kein Fieber eintreten werde und daß, wenn der Balsam ihrer Lehrmeisterin noch seine alte Kraft habe, für das Leben ihres Gastes nichts zu fürchten sei. Schon am folgenden Tage könne er nach York geschafft werden. Es war schon spät abends, als Wilfried von Ivanhoe die Besinnung wieder erlangte. Er erwachte aus einem unruhigen Schlummer mit den unklaren, verwirrten Empfindungen, die ein solcher Zustand gewöhnlich im Gefolge hat. Eine Zeitlang war ihm die Erinnerung an all das, was seiner Ohnmacht in den Schranken vorangegangen war, völlig entfallen. Ebensowenig vermochte er sich die Vorfälle des letzten Tages zu vergegenwärtigen. Die Empfindung, daß er verwundet sei und Schmerzen hätte, mischte sich mit dem Gefühl der Schwäche und Erschöpfung und mit der wirren Erinnerung an ausgeteilte und erhaltene Lanzenstöße, an Streitrosse, die gegeneinander prallten, an Sieger und Besiegte, Waffengeklirr, Trompetenschmettern und all das Getöse eines wütenden Kampfes. Er versuchte die Vorhänge seines Bettes zurückzuschlagen, und es gelang ihm, obgleich ihn seine Wunden heftig schmerzten. Zu seiner größten Verwunderung sah er sich in einem reich ausgestatteten Zimmer, dessen Einrichtung orientalisch war, so daß ihm zumute war, als sei er während seines Schlafes nach Palästina versetzt worden. Und in dieser Einbildung fühlte er sich noch bestärkt, als sich eine Tapetentür öffnete und eine weibliche Gestalt in einem prächtigen morgenländischen Gewande hereintrat, der ein schwarzer Diener folgte.
Der verwundete Ritter wollte die schöne Erscheinung anreden, aber sie gebot ihm Schweigen, indem sie ihre zierlichen Finger auf ihre purpurroten Lippen legte, der Diener trat an ihn heran und deckte seine Seite auf, worauf die schöne Jüdin sich selber davon überzeugte, daß der Verband richtig liege und die Wunde in gutem Zustande sei. Sie tat dies mit anmutiger Würde und züchtiger Einfalt und gab dem alten Diener in
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