Jagd auf Roter Oktober
Erster Tag
Freitag, 3. Dezember
Roter Oktober
Kapitän Ersten Ranges Marko Alexandrowitsch Ramius von der Sowjetmarine war entsprechend den arktischen Witterungsverhältnissen gekleidet, die bei dem U-Boot-Stützpunkt Polyarniji der Nordflotte normalerweise herrschten: Er steckte unter fünf Schichten Wolle und Ölzeug. Ein schmutziger Hafenschlepper bugsierte den Bug seines Unterseebootes nordwärts, in Richtung Kanal. Das Trockendock, in dem sein Roter Oktober zwei endlose Monate lang gelegen hatte, war nun ein gefluteter Betonkasten, einer der vielen, die eigens gebaut worden waren, um strategische Raketen-U-Boote vor den Elementen zu schützen. Am Dockrand sah eine Ansammlung von Matrosen und Werftarbeitern dem Auslaufen seines Bootes teilnahmslos zu.
»Langsam voraus, Kamarow«, befahl er. Der Schlepper glitt aus dem Weg, und Ramius warf einen Blick zum Heck, wo die beiden Bronzeschrauben das Wasser aufwühlten. Der Kapitän des Schleppers winkte. Ramius erwiderte den Gruß. Roter Oktober, ein Boot der Typhoon -Klasse, lief nun mit eigener Kraft auf den Hauptschifffahrtskanal des Kola-Fiords zu.
»Dort ist die Purga, Genosse Kapitän.« Gregorij Kamarow wies auf den Eisbrecher, der sie hinaus aufs offene Meer begleiten sollte. Ramius nickte. Die zweistündige Kanaldurchfahrt würde nicht seine Seemannschaft, wohl aber seine Geduld auf die Probe stellen. Ein kalter Nordwind wehte. Der Spätherbst war erstaunlich mild gewesen, es hatte kaum geschneit, aber vor einer Woche war ein großer Wintersturm über die Murmansk-Küste hinweggefegt und hatte Brocken vom Packeis gerissen. Der Eisbrecher war keine Formsache. Die Purga sollte Eisberge, die über Nacht in den Kanal getrieben sein konnten, beiseite schieben.
Das Wasser im Fjord war kabbelig, getrieben von der steifen Brise. Es begann nun, über den runden Bug von Oktober zu schwappen und rollte dann über das flache Raketendeck vor dem hohen schwarzen Turm. Auf der Oberfläche trieb Öl aus dem Bilgenwasser zahlloser Schiffe, das bei den niedrigen Temperaturen nicht verdunsten konnte und am Fjordufer einen schwarzen Rand bildete.
»Fahrt auf ein Drittel steigern«, sagte Ramius. Kamarow wiederholte den Befehl am Brückentelefon. Das Wasser wallte heftiger auf, als Roter Oktober sich hinter die Purga setzte. Kapitänleutnant Kamarow, der Navigationsoffizier, hatte bisher als Lotse für die großen Kriegsschiffe gedient, die beidseits des breiten Sunds stationiert waren. Die beiden Offiziere behielten den dreihundert Meter vor ihnen laufenden bewaffneten Eisbrecher scharf im Auge. Auf dem Achterdeck der Purga stampfte eine Hand voll Besatzungsmitglieder in der Kälte herum, die Zeuge der ersten Dienstfahrt von Roter Oktober werden wollten.
»Und so, Genosse Kapitän, stechen wir aufs Neue in See, um dem Vaterland zu dienen und es zu schützen!« Kapitän Zweiten Ranges Iwan Jurijewitsch Putin steckte den Kopf durch die Luke – wie üblich, ohne um Genehmigung gebeten zu haben – und kletterte unbeholfen wie eine Landratte die Leiter hinauf. In dem winzigen Ausguck war es auch ohne ihn schon eng genug. Putin war der Politoffizier des Schiffes.
»So ist’s, Iwan Jurijewitsch«, erwiderte Ramius mit gezwungener Heiterkeit. »Zwei Wochen auf See. Tut wohl, aus dem Dock rauszukommen. Ein Seemann gehört aufs Meer und nicht in den Hafen, wo Bürokraten und Arbeiter mit schmutzigen Stiefeln auf ihm herumtrampeln. Und warm bekommen wir’s auch.«
»Finden Sie es denn kalt?«, fragte Putin ungläubig.
Zum hundertsten Male sagte sich Ramius, dass Putin der perfekte Politoffizier war: Stimme zu laut, Humor zu gekünstelt. Nie ließ er einen vergessen, wer er war. Und als perfekter Politoffizier war er ein gefürchteter Mann.
»Ich fahre schon so lange auf U-Booten, mein Freund, dass ich mich an gemäßigte Temperaturen und ein ruhiges Deck unter den Füßen gewöhnt habe.« Putin merkte die versteckte Beleidigung nicht. Zu den U-Booten war er versetzt worden, nachdem seine Dienstzeit bei den Zerstörern wegen chronischer Seekrankheit ein verfrühtes Ende gefunden hatte – und vielleicht auch, weil ihn die Enge in den Booten, die andere Männer nur schwer ertragen konnten, nicht störte.
»Ah, Marko Alexandrowitsch, in Gorki blühen an einem Tag wie heute die Blumen!«
»Und was für Blumen wären das, Genosse Politoffizier?« Ramius suchte durchs Fernglas den Fjord ab. Jetzt, um die Mittagszeit, stand die Sonne nur knapp überm Südosthorizont und warf
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