Der tanzende Tod
KAPITEL 1
London, Dezember 1777
»Bist du sicher, dass er in Ordnung ist?«, fragte mein Vetter Oliver, indem er sich in dem angestrengten Bemühen, besser zu sehen, näher heranschob. »Er sieht aus wie ein toter Fisch.«
Was eine absolut akkurate Beobachtung darstellte; dennoch hatte ich kein Bedürfnis, an die Auswirkung meines speziellen Einflusses auf eine andere Person erinnert zu werden. Ebenso wenig hatte ich das Bedürfnis nach einer Unterbrechung durch Oliver, aber er hatte mich darum gebeten, zusehen zu dürfen, und zu jener Zeit schien es keinen Grund zu geben, seine Bitte abzulehnen. Nun hatte ich Bedenken.
»Bitte«, sagte ich mit recht angespannter Stimme. »Ich muss mich konzentrieren.«
»Oh.« Sein Tonfall war reumütig, und augenblicklich verfiel er in völliges Schweigen, was mir gestattete, weiterhin meine gesamte Aufmerksamkeit dem Manne zuzuwenden, welcher vor uns saß. Indem ich meinen Blick intensiv auf sein ausdrucksloses Gesicht konzentrierte, sprach ich sanft zu seinem allzu verletzlichen Verstand.
Du musst mir ganz genau zuhören ...
In diesem Moment fühlte ich mich wahrhaftig so, als balanciere ich auf eines Messers Schneide. Da Oliver bei mir und Zeuge der Vorgänge war, war ich ruhiger, als wenn ich alleine gewesen wäre; dennoch war ich mir der bedauerlichen Konsequenzen sehr bewusst, welche sich ergeben würden, sollte ich hinsichtlich dieses Burschen einen Fehler begehen. Ein einziges Wort meinerseits oder eine kurze Aufwallung unkontrollierter Wut, welcher ich freien Lauf lassen würde, und schon würde der Mann höchstwahrscheinlich in einen Zustand des Wahnsinns gestürzt werden, von dem er sich vielleicht niemals wieder erholt. Ich hatte dies schon einmal zuvor getan – unbeabsichtigt –, und ich wäre ein Lügner, wenn ich nicht zugeben würde, dass die jetzigen Umstände mich sein stark in Versuchung führten, diese Tat zu wiederholen. Gott weiß, ich, halte mehr als genug Gründe, die ein solches Vergehen rechtfertigen würden .
Sein Name war Thomas Ridley, und letzte Nacht hatten er und sein Vetter Arthur Tyne sich alle Mühe gegeben, mich zu ermorden. Mir war mitgeteilt worden, dass ich keine gerechte Entschädigung durch die Gesetzesmittel für dieses und andere Verbrechen, welche sie begangen oder an welchen sie teilgenommen hatten, zu erwarten hatte; daher hatte ich die Verantwortung selbst übernommen, zu gewährleisten, dass sie keine weiteren Missetaten begehen würden. Arthur hatte ich mir bereits vorgenommen. Kr würde nach Mause geschickt werden, sobald er reisefähig wäre. Ich hatte ihm in der vergangenen Nacht genügend Blut abgezapft – einzig und allein zum Zweck des Überlebens, nicht aus Rache –, und er hatte sich nur in einem halb wachen Zustande befunden, sodass er leicht zu beeinflussen gewesen war.
Bei Ridley lag die Angelegenheit anders.
Wir hatten ihn in einem der entlegeneren Vorratsräume im Keller tief unterhalb des Fonteyn-Hauses eingesperrt, weit entfernt von allen Ohren, welche seine gebrüllten Flüche nicht boten sollten. Als ich an diesem Abend erwacht war, den benommenen Arthur behandelt halte und bereit war, mich mit Ridley zu beschäftigen, hatte dieser sich mittlerweile in eine wahrhaft üble banne hineingesteigert, sofern man dies aus der ungehobelten Deutlichkeit seiner Sprache schließen konnte. Viele seiner Schmähungen umfassten sowohl allgemeine als auch spezifische Flüche gegen mich und meine vielen Verwandten für seine Behandlung durch unsere Gemeinschaft.
Oliver und ich, die wir gemeinsam in den Keller hinuntergegangen waren, hatten die fünf Lakaien, welche eingeteilt worden waren, Wache zu halten, fortgeschickt und Ridley unsere Anwesenheit durch das stabile Eichenholz der für seines behelfsmäßigen Gefängnisses hindurch angekündigt. Er antwortete mit einer Erklärung dergestalt, dass es ihm das größte Vergnügen sei, uns beide mit bloßen Händen zu töten. Olivers Kommentar, dass er uns soeben einen exzellentem Grund geliefert habe, ihn eingesperrt zu lassen, bis er ausgehungert sei und damit eine bessere Laune habe, stieß bei ihm nicht auf Wohlwollen. Ridley reagierte, indem er eine weitere Schimpfkanonade gegen uns von sich gab, welche von einem lauten Krachen und Schlagen begleitet wurde, das uns anzeigte, dass er in seiner Zelle etwas gefunden halte, mit dem er die Tür attackieren konnte.
»Ich glaube, wir sollten die Lakaien zurückrufen«, riet Oliver, indem er mir einen nervösen Blick
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