Jagd in der Tiefsee (Cryptos)
…«
»Jetzt hör schon auf, Luther«, unterbrach ihn Grace. »Und zeig’s uns endlich!«
Luther schlug den Block auf.
Auf dem ersten Bild war ein Hubschrauber zu sehen, der über dem Dschungel explodierte.
Schweigend starrten Marty und Grace die Zeichnung an.
»Hm, vielleicht war das doch keine so gute Idee«, murmelte Luther. »Ich meine …«
»Nein, ist schon okay«, sagte Marty und deutete auf die Zeichnung. »Das sollen wohl meine Eltern sein, wie sie über dem Amazonas abstürzen, oder?«
»Ja, na ja, ich dachte nur, weil damit doch alles anfing. Dass ihr das Internat verlassen habt, meine ich, und zu eurem Onkel nach Cryptos gezogen seid … also besser gesagt zu Martys Onkel …« Luther zögerte, dann fragte er: »Gibt es eigentlich irgendwelche Neuigkeiten?«
Marty schüttelte den Kopf. »Aber Wolfe hat immer noch Leute vor Ort, die nach Spuren suchen. So schnell gibt er nicht auf.«
»Ich bin fest davon überzeugt, dass sie am Leben sind«, fügte Grace hinzu. »Wenn nicht, würde ich das wissen.« Mit ihren großen Augen, die die Farbe von Rotkehlcheneiern hatten, schaute sie Marty an. »Ich würde es spüren.«
Luther wandte den Blick ab. Martys Eltern waren seit mehr als sechs Monaten im brasilianischen Regenwald verschollen, in einer der urwüchsigsten, gefährlichsten Gegenden der Erde. Die Chance, dass sie noch am Leben waren, ging gegen null.
»Wenn Grace glaubt, dass sie leben, dann glaube ich das auch«, sagte Marty. »Also: keine Panik! Und jetzt zeig uns endlich, wie es weitergeht!«
Luther begann zu blättern.
Technisch und künstlerisch hauten Marty die Zeichnungen nicht so vom Hocker, aber dafür gaben sie ihr Kongo-Abenteuer ziemlich detailliert wieder – was beachtlich war, denn schließlich hatte sich Luther das Geschehen aus Martys spärlichen E-Mails zusammenreimen müssen.
Das zweite Bild zeigte Marty und Grace kurz nach ihrer Landung auf Cryptos, der Insel von Travis Wolfe, ihres »unbekannten Onkels«, den sie bis dahin noch nie getroffen hatten und bei dem sie bis auf weiteres leben sollten. Es folgte ein Bild von Laurel Lee, die mit einem fußballgroßen Ei auf Cryptos aufkreuzte – dem Ei eines Mokele-Mbembes, des weltweit letzten lebenden Dinosauriers.
Während Luther weiterblätterte, schielte Marty zu Grace hinüber. Die letzten Monate hatten ihm etliche Schocks beschert, aber Grace’ Leben hatten sie komplett durcheinandergeworfen. Grace hatte erfahren müssen, dass sie im Kongo und nicht in Amerika geboren worden war, dass Wolfe ihr richtiger Vater war und sie als Zweijährige zu seiner Schwester und deren Mann, Martys Eltern, gegeben hatte, damit diese sie wie ihr eigenes Kind aufzogen. Dies war eine Vorsichtsmaßnahme gewesen, um Grace vor ihrem eigenen Großvater zu schützen, Noah Blackwood, einem weltberühmten Tierschützer und Umweltaktivisten. Die ganze Geschichte war einfach vollkommen verrückt und für Außenstehende total unglaubwürdig. Aber im Großen und Ganzen schlug sich Grace wacker mit ihrem neuen Schicksal.
Marty richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Comic.
»Das hier soll Butch McCall sein, der Typ, der für deinen Großvater arbeitet«, erklärte Luther Grace.
»… und der mich gekidnappt hat«, ergänzte Grace.
Eine komplette halbe Stunde waren Marty, Grace und Luther in das Meisterwerk vertieft. Die letzte Bildfolge zeigte Wolfe, Laurel Lee und Bertha Bishop, wie sie Noah Blackwoods Hubschrauber kaperten und Blackwood und McCall im kongolesischen Urwald zurückließen, während sie selbst triumphierend mit zwei Saurier-Eiern nach Cryptos zurückflogen.
»Toll, Luther, echt!«, sagte Marty.
»Wirklich großartig«, pflichtete Grace bei. »Wahnsinn, wie viel Mühe du dir gegeben hast!«
»Ist doch noch im Skizzenstadium«, wiegelte Luther leicht errötend ab. »Ich dachte, wir könnten die Geschichte auf dem Weg nach Neuseeland noch etwas ausarbeiten.«
»Klar«, sagte Marty. »Wir können hier und da noch was ergänzen. Und bei der einen oder anderen Illustration würde ich selbst auch noch etwas Hand anlegen.« Womit er meinte: Ich male das Ding komplett neu . Trotzdem wollte er Luthers Leistung nicht schmälern, immerhin hatte sein Freund das Ganze fern aller Abenteuer in der friedlichen Schweiz gezeichnet.
»Übrigens, wir haben auch etwas für dich «, verkündete Marty und öffnete den Schrank unter dem Labortisch.
»Aber ich hab doch gar nicht Geburtstag!«
Marty ignorierte die Bemerkung. Eine der
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