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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Weißen im Wasser unter sich bleiben.
    An diesem Abend sind es zwei Gäste des Hotels, die am südlichen Rand des Beckens hin und her ziehen, stur in immer der selben Bahn, zwei junge Fremde, die in einer fast beleidigten Art stoppen vor den alten Damen, die lieber die kürzere Querstrecke schwimmen, und sie schlucken Wasser und Wut auf die Kinder, die dicht vor ihrer Nase sich ins Tiefe versenken. Vielleicht sind es Deutsche, technische Lehrlinge auf Ausbildung in der new yorker Stammfirma, denn sie sprechen deutsch, obwohl nicht nur Gesine Cresspahl sondern auch die jüdischen Schwimmer ihre etwas ratlosen Bemerkungen und Zurufe zur Not verstehen. Sie ahnen nicht, wo sie sind; sie sprechen unbefangen, laut. Es ist ihnen nicht sauber genug hier. Zu Hause haben sie eine neugebaute Schwimmhalle. Ihnen sehen viele Badegäste aus, als müßten sie in europäischen Ländern nicht auffallen. Und endlich kommt Marie an, in glatten weichen Stößen unter Wasser, und berichtet siegesgewiß: Sie reden über dich! Du hättest die richtige Größe! Dein Busen säße zu tief! Du hättest vielleicht noch kein Kind geboren, aber auf die Nasenspitze müßte dich Keiner noch drücken! Dein Haar, deine Wangenknochen, danach solltest du aus Polen stammen! From a Slavian country! sagt sie. Denn das Deutsche sprechen Cresspahls nur noch unter sich, darauf besteht diese Marie, der die grau und grünen Augen ganz fürsorglich geworden sind von dem Glauben, sie habe ihrer Mutter ein Lob angebracht, etwas Verträgliches.
    Und wenn ihr Kinder in die Welt setzt, nich mit dein’n Knochn, Cresspahl! Neemtlich, wenn das ein’ Diern wird, soll sie die Beine von Lisbeth haben!
    Das Becken des Mediterranean Swimming Club, zwanzig Meter lang, achtbahnig, ist vielleicht geräumiger als das der »Mili« in Jerichow, in dem Gesine Cresspahl schwimmen gelernt hat, das Kind das ich war. Erinnerung baut an: sagen die, die noch einmal zurückgegangen sind. Dahin zurück darf ich nicht. Das ist weit von hier. Das ist mehr als 4500 Meilen entfernt, und mehr, noch nach acht Stunden Flug muß man dahin gehen, bis man in die Nacht gerät, und kommt nicht an. Das ist mehr als 6000 Kilometer. Das ist wendische Gegend, Mecklenburg, an einer anderen Küste. Dort habe ich gelebt, für zwanzig Jahre. Denn sittst vilicht, verraden un verköfft, in son’n amerikanschen Wald …
    An der »Mili« von Jerichow Nord stellte mein Vater vor dreißig Jahren Regenschuppen auf, Heinrich Cresspahl, Jahrgang 1888, von den deutschen Kriegen weggegangen in die Niederlande, nach England, und doch mit meiner Mutter zurückgekehrt nach Mecklenburg, damit ich in Deutschland zur Welt käme, wenige Jahre vor dem nächsten Krieg. So elend war meine Mutter damals schon, Lisbeth, geborene Papenbrock. Der Flugplatz auf der hohen Ostseeküste bei Jerichow, den mein Vater mit Holzarbeiten bauen half, war für einen modernen Krieg, und so wurde ein mickriger Grabenfluß auf seinem Weg zum Meer angehalten und umgeleitet und mußte das Wasser der Militärbadeanstalt erneuern. Den Namen »Mili« bekam die Anlage von der Schuljugend, erst nach dem Krieg, als die sowjetische Besatzungsmacht den Komplex Jerichow Nord sprengte und schleifen ließ und das Schwimmbecken vergaß. 1953 waren Cresspahls Regenschuppen längst durch Jerichows Öfen gegangen, nur in verrotteten Stümpfen übriggeblieben. Es war Februar, das Becken abgelassen, von Schneetreiben säuberlich weiß ausgelegt am Boden. Jakob kam mir ohne Zögern nach unten nachgeklettert. Wir sind in dem Becken auf und ab gegangen, bis alle Bahnen ausgefüllt waren mit den Spuren unserer Füße. Von Jakobs Gesicht an diesem Tage bekomme ich kein Bild; ich müßte es denn erfinden. Wir waren unsichtbar, geschützt von den Wänden des Erdlochs, versteckt unter dem wirbelnden Himmel, in der sausenden Stille. Und er konnte mir nur für sich sagen, wie das Leben ist in der Fremde, nicht für mich.
    Die Regierung hat der Luftwaffe in Viet Nam nun die Sperrzone an der chinesischen Grenze zum Durchfliegen freigegeben. Vierzehn amerikanische Wissenschaftler versprechen der Nation, ein den Kommunisten überlassener Sieg werde nur zu größeren, aufwendigeren Kriegen führen und nicht zu dauerndem Frieden.
    Das ist Mrs. Cresspahl, die vorn auf dem federnden Brett wartet, bis die Sprungbahn frei wird. Wohnt hier um die Ecke, Riverside Drive und 96. Straße. Vierunddreißig Jahre alt. Die hält ihren Hals steif, die zieht einen Bauch ein. Nicht mehr lange,

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