Jahrestage 2
wie der Lübecker Hof unbescheidener als das Rathaus. Pferdefuhrwerke auf dem Weg zur Stadtwaage. Kaum einheimische Autos. Ferienstille. Wo die Erwartung der Fremden den eigentlichen Beginn der Stadt ansiedelte, rutschten sie auf die kahle Chaussee zur Ostsee. Zur Linken, weitab, waren Rohbauklumpen zu erkennen, warum nicht noch eine Landarbeitersiedlung, wie es doch auf den Schildern stand, »Neue Scholle Nord«. Wo eine sonderbar großzügige Betonbahn abging, fiel die Straße ab, und hinter den dick umbuschten Hotels von Rande lag die sonnenstreifige See ausgebreitet. Was da im Westen vergessen zurückblieb, war der Militärflugplatz Jerichow Nord. 1936.
Aber der Flugplatz hatte in Jerichow nicht seinen Namen. Seit mehr als einem Jahr arbeiteten und verdienten Handwerk und Handel der Stadt daran, und doch hieß die Anlage »Mariengabe«, nach dem Dorf, das dabei draufgegangen war. Die Gegend war immer Zollgrenzbezirk gewesen, nun fiel der Sperrbezirk nicht auf. Badegäste, von ihren verjährten Reiseführern auf ergiebige Spazierwege hingewiesen, wurden in gehörigem Abstand von der Baustelle durch Wehrmachtstreifen gestellt und verwarnt. Der Adel hatte seinen Stammtisch im Lübecker Hof gehalten; dort wurde über die Olympischen Spiele in Kiel gesprochen, zur Not über die Dürre des Jahres 1934, schon weniger gern über den Vierjahresplan. Denn Friedrich Jansen, Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der Staatspartei, hatte einen eigenen Stammtisch gegründet, an den Fenstern auf die Ausspannung, und ließ sich zumeist von ausländischen Besuchern über lange Abende bringen. Oft waren das Herren von der Geheimen Staatspolizei zu Hamburg, in einer schwarzen Uniform, und manche hatten tatsächlich einen schweren Ledermantel an den Haken zu hängen. Die Arbeiter in »Mariengabe« hatten im September 1936 einen halben Tag lang die Arbeit verweigert, es war auch die Rede von kommunistischen Flugschriften. Herr von Maltzahn hatte eins in seinen Wäldern gefunden und es Friedrich Jansen eilfertig in die Hand gedrückt, »ungelesen«. Nun sprach von Maltzahn nicht von einem Flugplatz, sondern von »unserer Rache für Versailles«. Herr von Lüsewitz war für seinen Besitzanteil von Mariengabe zu seiner Zufriedenheit entschädigt worden und erwähnte seither gern sein »Opfer«. Friedrich Jansen gebrauchte schlicht das Wort von der »nordischen List« und kannte offensichtlich ein »weinsaufendes adliges Gesocks«. In Peter Wulffs Krug ging man dem Flugplatz aus dem Weg mit Ausdrücken wie »dicker Hund« und »blaues Wunder«, aber nicht, wenn Ortsfremde trinken gekommen waren, und mochten sie jenseits der Hörweite sitzen, und mochte ihr Plattdeutsch noch so passend klingen. Hauptlehrer Stoffregen kam auch vom Flugplatz lieber gleich auf die Juden und das Attentat auf den schweizerischen Landesgruppenleiter Gustloff, das ihm »entlarvend« erschien. Von Oberlehrer Kliefoth galt es als sicher, daß er nicht umsonst aus Berlin in eine Gegend geschlichen war, in der die Nazis die Macht schon ein halbes Jahr länger genossen hatten als anderswo und ihm eher verzeihen würden, aber was? und von Kliefoth wurde erzählt, er habe im Zug nach Gneez ein Gespräch von Mitreisenden über »Bauarbeiten« unterbrochen mit der Bemerkung: Ich warne Sie. Angeblich hatte er diesen seinen Einfall nicht erklärt. Fuhrunternehmer Swenson hatte an seiner Omnibuslinie vom Bahnhof nach Jerichow Nord so »mäßig« verdient, daß er sich nun den zweiten Lastwagen hatte zulegen können, und Swenson bezeichnete seinen Anteil am Bau des Flugplatzes als »Verantwortung«. Pastor Brüshaver versuchte offenen Schabernack und besprach die Sache als »Reichsauftrag Volkssport«, nach den Schildern, die am westlichen Ende des Baugebietes aufgestellt waren; und Pastor Brüshavers Sohn flog in Spanien gegen die Truppen der legalen Regierung und würde sich womöglich als Lohn die Kommandantur eines Flugfeldes verdienen, es mußte ja nur noch fertig werden. Und mein Vater hatte die Sägen vom frühen Morgen bis in den Abend gehen in seiner Werkstatt und versuchte beim Mittagessen den Lärm mit Kopfschütteln aus den Ohren zu kriegen und hatte ein Bankkonto in Rostock und eins in Lübeck und nahm auch beim Postscheckamt Hamburg Zahlungen entgegen für die Arbeit von acht Angestellten und war gehorsam in die Deutsche Arbeitsfront eingetreten und gab Heine Klaproth getreu nach dem Gesetz frei für den Dienst in der Hitlerjugend und hatte zwanzig Ohren am
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