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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Brief nach Jerichow gebracht. Er war in der ersten Hälfte vom Juni 1944 in Kiew datiert. Alexander versprach darin seiner Nichte Gesine Cresspahl einen Anteil am althäger Haus für den Fall, daß er es erben würde. Im September 1944 hatte er den Brief noch einmal geöffnet und Cresspahl dringlich gebeten, er möge Hilde dazu bringen, daß sie mit den Kindern vom rechten Ufer der Oder auf das linke ziehe, am besten zurück nach Mecklenburg. Alexander bat Cresspahl, seine Familie ins Haus zu nehmen, wenn er gefallen sei. Um die Blutflecken auf dem Brief herum war von einem Franzosen geschrieben, der Inhaber sei am 29. September 1944 gestorben, aber nicht, wo er begraben ist.
    Maurice und Albert fuhren mit den Engländern nach Lübeck. (Es war noch ein dritter bei ihnen, dessen Name vergessen ist. Ein Bauernsohn aus der Gegend von Clermont-Ferrand, der sich abseits von den Städtern, und den Deutschen, gehalten hatte.) Sie verabschiedeten sich nicht von dem Cresspahlschen Kind, und sie war enttäuscht, als sie andere Leute in dem Zimmer fand. Die beiden hatten ihr beigebracht, die Tageszeiten in ihrer Sprache zu bieten. Sie hatten zusammen gesungen. Das Kind hatte geglaubt, da sei nicht Feindschaft, nicht mit ihr.
    In der Nacht zum 2. Juli wurde viel gegraben in den Höfen und Gärten von Jerichow. Papenbrock brachte das Familiensilber zu Cresspahl, der den schon zugemauerten Kellerteil noch einmal aufmachen mußte.
     
    – Blieb Cresspahl wegen Lisbeths Grab?
    – Er mochte nicht mit zwei typhuskranken Kindern auf die Landstraße.
    – Hatte er nicht Angst vor den Sowjets?
    – Warum, Marie.
    – Gesine, er ließ dich bei den Sowjets!
    – Das war eine gute Schule, die möchte ich nicht entbehren. Und nach acht Jahren konnte ich gehen.
     
    Die Walnußbäume vor Cresspahls Haus waren stehen geblieben. Aus solchem Holz werden Gewehrschäfte gemacht.
    Hanna Ohlerich wußte immer noch nicht, warum sie auf See geschickt worden war. Ihre Eltern hatten sich in Wendisch Burg erhängt, sobald sie aus dem Haus war. Karsch hatte es ihr nicht sagen mögen, als er sie im Fieber sah.
    Am Vormittag des 2. Juli zogen die sowjetischen Besatzungstruppen auf der gneezer Straße in Jerichow ein, die Mannschaften in niedrigen klappernden Pferdewagen, die Offiziere in amerikanischen Jeeps. Die Stadtkommandantur wurde in die Ziegeleivilla gegenüber Cresspahls Haus gelegt. Da zogen sie die vierte Fahne des Jahrhunderts hoch. Die blieb.
    Am Abend war der grüne Bretterzaun um die Kommandantur fast fertig.
    Am Abend wurde Cresspahl vom Rathaus gebracht. Der Kommandant wollte sehen, wie sein Bürgermeister wohnte. Er sah, wie eng die Flüchtlinge in Cresspahls Haus lebten, und daß der Bürgermeister auch schlief in dem Zimmer, das sein Büro war. Er bot an, das Haus sofort von allen Fremden räumen zu lassen, und er ergab sich ungern in Cresspahls kopfschüttelnde Weigerung. Wenn es anging, vermied Cresspahl das Sprechen mit dem Russen; er hatte so viel an ihm zu beobachten.
    Der sowjetische Major war ein alter Mann, stämmig und fest am Leibe, traurig. Er seufzte viel. Er merkte es nicht, ob er sich nun setzte oder zu sprechen anfing, immer kam aus ihm erst ein schweres Atmen mit einem sanften Rachenton. Er bat Cresspahl, den Tisch abzuräumen. Dann ließ er drei Flaschen Wodka auf den Tisch stellen, schickte die Ordonnanz vor die Tür, ließ sich seufzend nieder und begann das Bekanntwerden mit diesem Deutschen. - Es beliebt, Burgmister: sagte er, und wies auf den zweiten Stuhl.
    Draußen war es immer noch hell. Weil die Nacht nicht anfangen wollte, kam Cresspahls Kind an die Tür geschlichen, um den Fremden einmal zu sehen, und er rief sie geduldig an, stellte sie vor sich auf.
    – Du Faschist: sagte er anregend.
    Das Kind hatte ihm eine gute Nacht gewünscht, mit dem Papenbrockschen Knicks, und war verwirrt, daß es für diesen Mann damit nicht getan war. Sie hatte Schmerzen in der Schulter, als würde sie durchgewalkt. Sie schämte sich für das Tuch um den Kopf. Vom Fieber war sie wieder schwindlig, halb taub. Cresspahl sah ihr zu, als müsse sie eine Prüfung bestehen, und als dürfe er ihr nicht helfen. Es machte ihr Mühe, die Augen offen zu halten. Der Mann blickte sie an, als versuche er einen Spaß mit ihr. Sie wollte zurück ins Liegen, und sie tat ihm den Gefallen. Es bereitete ihm ein behagliches Vergnügen, und er wiederholte das Spiel.
    – Du Faschist: sagte er, drohend und erfreut.
    – Ich Faschist: sagte das

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