Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
090 - Die Totenwache

090 - Die Totenwache

Titel: 090 - Die Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
Vom Netzwerk:
Ich hasse euch!
    Eure Zeit ist begrenzt. Euer Leben besitzt Anfang und Ende. Der Zyklus eurer sterblichen Existenz besteht aus Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der Tod ist euer Erlöser. Nach einem kurzen, erbärmlichen Leben, das vom Leiden der niederen Kreatur erfüllt ist, zerfallen eure Körper zu Staub. Asche zu Asche, Staub zu Staub! Der Wind treibt eure Überreste in alle Richtungen davon. Die Elemente sind ewig, ihr aber seid vergänglich.. Die Bilder eurer Jugend vergilben, und die Zeugnisse eurer einstigen Kraft verblassen. Die Kleinodien eures Lebens setzen Patina an. Erinnerungen lösen sich im ewigen Nichts auf, und die Zeit geht über euch hinweg.
    Ich aber existiere!
    Deshalb hasse ich euch. Meine Existenz kennt weder die Erlösung durch den Tod noch die mildtätige Kraft des Vergessens. Mein Leben besitzt weder Anfang noch Ende. Der Tod ist mein Beschützer, doch er besitzt keine Macht über mich. Ich werde niemals zu Staub zerfallen. Meine Taten währen ewig, meine Jugend ist allgegenwärtig. Die Kleinodien meiner Blütezeit sind unvergänglich.
    Ich bin ewig, und die Ewigkeit ist meine Kerkermeisterin.
    Deshalb hasse ich euch!
    Ys-Dahuts Gesänge der Ewigkeit

    Es hatte geregnet. Die ersten Oktobertage in London waren naßkalt. Nebel kroch über die Themse, und das Tuten der Schleppkähne wurde wie von einem Samtvorhang verschluckt. Es war erst vier Uhr nachmittags, doch man konnte kaum zehn Meter weit sehen. Die Schleimfinger des Nebels krochen durch Türen und Ritzen in das Innere der ausgedehnten Lagerhallen am westlichen Kay. Brian Donelly zog den Reißverschluß seiner Wildlederjacke hoch. Ihn fröstelte. Er steckte sich eine Zigarette an. Das Papier war feucht und pappig. Er zerrieb den Tabak zwischen den Fingern und schnippte den Filter weg.
    Brian Donelly war achtunddreißig Jahre alt und Witwer. Er war schlank und etwas grobknochig, aber keineswegs unbeholfen. Er neigte den Kopf leicht nach vorn und zog die Schultern hoch. Das verlieh ihm das Aussehen eines Grüblers.
    Er war der typische Einzelgänger. Besonders in den letzten zwei Jahren hatte er jegliche Gesellschaft gemieden.
    Die Kaianlagen waren dreißig Meter entfernt. Er konnte das Gurgeln des Wassers hören. Doch er sah weder die Themse noch die anlegenden Kähne. Er sah nur das graue Einerlei des Nebels.
    Auf dem Asphalt erklangen Schritte.
    „Alicia?"
    Die Schritte wurden schneller. Das Klappern der Absätze beschleunigte sich, 'und dicht vor Brian schälten sich die Konturen einer jungen Frau aus dem Nebel. Sie trug einen leichten Wettermantel, der ihre reizvolle Figur an den Hüften betonte. Ihre flachsblonden Haare hingen wirr und ungeordnet herunter. Sie hatte Angst. Ihre Stirn war schweißbedeckt.
    „Ist dir jemand gefolgt, Alicia?"
    Die Blonde schüttelte den Kopf. Sie holte tief Luft. Das Laufen hatte sie erschöpft.
    „Hast du den Brief bei dir?"
    Ohne die Frage zu beantworten, zog sie ein schmales Kuvert aus der Manteltasche. Er nahm es an sich und schob es grinsend in seine Jacke.
    „Gut gemacht, Alicia…"
    „Kann ich jetzt gehen? Costa wird mich vermissen", stieß sie hervor. „Wenn er mir auf den Zahn fühlt, platzt das ganze Unternehmen. Du weißt, daß er mich in der Hand hat."
    Donelly zog sie näher an sich heran. Er sah ihr prüfend in die Augen. Ihre Pupillen waren winzig wie schwarze Apfelkerne. Ihr Atem ging unruhig. Auf einmal wirkte sie unsicher wie ein kleines Schulmädchen.
    „Du hast wieder von dem Teufelszeug genommen, nicht wahr?"
    Sie schüttelte erregt den Kopf.
    „Nein", sagte sie schnell. „Ich bin sauber, ehrlich!"
    Kurz entschlossen riß er ihr den Mantelärmel über dem rechten Arm hoch. Doch er konnte nichts entdecken. Weder die verräterischen Einstichnarben noch die Einschnürungen eines Lederriemens. „Ich sagte dir doch, daß ich das Zeug nicht mehr brauche."
    Donelly machte ein enttäuschtes Gesicht. Er hatte gehofft, Alicia derart in die Enge treiben zu können, daß sie ihm alles über Costa und dessen Dealer hätte verraten müssen. So aber war er auf ihr Vertrauen angewiesen. Nicht sehr beruhigend bei einer Rauschgiftsüchtigen.
    „Kann ich jetzt gehen, Brian?" Sie zog fröstelnd die Schultern hoch. Es fiel ihm auf, daß sie sich während der letzten Minuten mehrmals scheu umgesehen hatte.
    „Ich möchte dich gern dabeihaben, Alicia."
    Sie machte große Augen. Fast so, als könne sie Donellys Wunsch einfach nicht fassen. Dann wurde sie ärgerlich.
    „Ich habe Kopf und

Weitere Kostenlose Bücher