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Jahrestage 2

Jahrestage 2

Titel: Jahrestage 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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kleinen Städten. Im übrigen hatte jener Robert sich erstaunt und geniert betragen, und beim fälligen Händedruck war ihm der ergriffene Blick mißlungen und nach unten weggerutscht.
    Ende August war Horst mit seiner Elisabeth nach Güstrow umgezogen. Zwar hatte die Wehrmacht ihn nicht genommen. Sie hätten ihn als Leutnant der Reserve einstellen können, weil er 1919 als Offiziersanwärter aus dem Krieg gekommen war; wäre er nicht mit bald siebenunddreißig Jahren etwas ältlich gewesen für einen Leutnant. Horst mochte hinter dem ablehnenden Bescheid die dicken Finger seines Vaters ahnen; zurück nach Jerichow kam er nicht. Der Abschlag auf sein Pflichtteil hatte seiner Lisbeth gereicht für das Einrichten einer ansehnlichen Wohnung in Güstrow, nicht weit von den Neubauten der Landesbauernschaft, wo er sich mit der Verwaltung von Saatgut in einem nationalsozialistischen Sinne befaßte. Die Stelle hatte ihm Alexander Paepcke über Korpsbrüder in der Leonia besorgt; da hatte Papenbrock nichts verhindern können. Der Alte hatte wahrhaftig für seinen Speicher einen Verwalter finden müssen, ganz nach seinem Wunsch vom März 1933, und konnte sich nicht auslassen gegen jenen Waldemar Kägebein, der aus Aereboes Handbuch der Landwirtschaft Manches auswendig wußte, was Papenbrock nachzuschlagen hatte. Robert Papenbrock aber diente erst noch einmal dem Vaterlande vermittels einer Dienstreise in Übersee, nicht in Rio de Janeiro diesmal, sondern in Chicago, Illinois. So sah es nach den Poststempeln aus.
    Und in Jerichow galt wiederum als erwiesen, daß den Papenbrocks an List Keiner über sei. Denn die örtliche S. A. saß auf Grund mit ihrem Mißtrauen, von denen hatte doch Keiner versucht, Horst dahin nachzulaufen, wo es mit Gewehren im Ernst zuging. Und Horsts Amt bei der Landesbauernschaft, es würde den Geschäften der Familie nicht eben schaden.
    Zwar war schade, daß der Alte sich jetzt auch noch verstellt gab, mucksch, und kaum je Zeit hatte für solche umwegreichen, listigen, schabernackschen Gespräche, in denen er so firm gewesen war. Aber die Gaststätten waren ja nicht sicher in Zeiten wie diesen.
    Im September bekam Lisbeth, geborene Papenbrock, wohnhaft am Ziegeleiweg 3-4 zu Jerichow, eine Vorladung des Landgerichtes Gneez als Zeugin in einem Prozeß gegen Warning/Hagemeister. Gegenstand des Verfahrens war unter anderem die Verunglimpfung eines nationalsozialistischen Amtsträgers durch den Vorwurf, er habe Gewinn aus dem Umgang mit einem jüdischen Staatsbürger gezogen.
    Das amtliche Schreiben wurde bei Cresspahls abgegeben an dem Tag, für den der Mecklenburgische Christliche Hauskalender aus Paulus Briefen an die Römer Vers 1 bis 5 des 5. Kapitels zur Beherzigung empfahl.
    Lisbeth war nicht davon abzubringen, daß sie es gehört hatte. Sie hatte gehört: Hagemeister sagte: Und sieh dir solche an wie Griem. Da hatte Warning gesagt: Früher hatte er ganz dicke Brühe mit Semig, konntest du gar nicht umrühren. Jetzt ist Griem Oberfeldmeister oder sonst was beim Reichsarbeitsdienst.
    Dr. Semig sagte: Was kann ein Tierarzt schon einem Ackerbürger für Gewinn verschafft haben, und dann Griem! Mein lieber Herr Cresspahl -!
    Griem vermaß die Große Friedländer Wiese für Meliorationsarbeiten, und es sah ganz so aus, als kriegte er seine Post nicht.
    Robert Papenbrock, der die Anzeige erstattet hatte, wurde nicht vor Anfang 1938 aus den Staaten zurückerwartet.
    Avenarius Kollmorgen war bereit, sich an nichts zu erinnern. Papenbrock wollte gern wirklich betrunken gewesen sein. Aber Dr. Berling hatte immer noch nicht verwunden, zu wem die Frau ihm mitgelaufen war, und war den ganzen August zugange gewesen mit der Geschichte bei Patienten, denen er Verständnis zutraute für »sittliche Krankheitsherde« in der Führung von Staat und Partei.
    Lisbeth har dat hürt.
    Uns’ Lisbeth unter Eid vor Gericht, was soll das werden?

10. Januar, 1968 Mittwoch
    Mr. James R. Shuldiner ist entschlossen, eine Ehe einzugehen.
    Daß James Shuldiner ein Gespräch so eröffnen könnte, Mrs. Cresspahl hat es nicht gedacht. Sie kennt ihn, seit er bei einem Zimmernachbarn in der Bank zu Besuch war, dann von zufälligen Begegnungen auf dem Weg zur Ubahn, schließlich von eiligen Tischzeiten in Imbiß-Stuben der vierziger Straßen; immer war er es, der anrief, jedes Mal hat Mrs. Cresspahl ihrs selber bezahlt, und nie war die Rede von dem, was er aus solchen halben Stunden holen wollte oder wegtrug. Es mochte sein, daß er

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