Jahrestage 2
nun auch noch eine deutsche Person unter seine Bekannten zählen wollte; vielleicht fand er bei anderen nicht das gewünschte Gehör für seine Sorgen mit den Manieren der Staatsmänner; womöglich kommt er jeweils wieder wegen des Nachmittags im Frühsommer, als er uns bei einem Konzert im Central Park in den Weg lief und Marie ihn andächtig dazu anhielt, ihr Rechengänge zu erklären; Marie hat längst vergessen, daß sie ihn nicht lange unter ihre Freunde dachte, und Mrs. Cresspahl sollte mit mehr Sorgfalt überlegen, was aus einem Umgang herauskommen wird. Denn ginge es nach der Gewohnheit, so müßte heute besprochen werden, daß das Pentagon dem Präsidenten noch einmal mit Erklärungen über den August 1964 im Golf von Tonkin den Rücken decken will, oder daß de Gaulle den Juden wirklich ein Kompliment machen wollte, als er sie ein Elitevolk nannte, »seiner selbst sicher und herrisch«. Aber nein, wir sollen uns mit Herrn Shuldiners Hochzeit befassen, und ihm ist es so eilig, daß er nicht bis morgen mittag warten kann sondern tatsächlich in die Bar des Marseille kam. Sitzt etwas verrenkt da, den Ellenbogen auf der Brüstung über dem Schwimmbad, mit versehentlich um die Augen aufflackerndem Vergnügen, dennoch lange kein strahlender Hochzeiter, mit immer noch gespannter Stirn, die ein Druck zu belasten scheint.
Mr. Shuldiner bittet uns um einen Freundesdienst. Seine Frau möchte in dieser Gegend wohnen, und könnten wir behilflich sein. Noch eine Bloody Mary, Mrs. Cresspahl?
Besten Dank, und es geht nicht. Dazu ist Mrs. Cresspahl außerstande. Die Obere Westseite als Viertel, es ist ihr zerfallen in immer mehr Szenen und Anblicke, je ausgiebiger sie es kennen gelernt hat in fast sieben Jahren; sie hat kein Urteil zum Abgeben. Diese Adresse hat als Antwort meist ungenaues Nicken bekommen, erblindende Blicke, denen der Begriff ausging. Greenwich Village im Süden, es ist in der Stadt zumindest bekannt als sein Mythos; Riverdale, in der Bronx, tut gleich vertraut mit einer Ansicht aus Erinnerung und eingeschüchterter Phantasie. Was die Obere Westseite umgibt, ist geläufig; sie kaum. Im Norden die Morningside Heights blicken aus sicherer Entfernung nach Harlem hinüber, die Universität Columbia grapscht Haus nach Haus und Straße nach Straße unter ihren ehrenwerten Mantel; da ist die Kirche des Unfertigen Johannes und die von Rockefeller, genannt Riverside, dann noch das Krankenhaus des Heiligen Lukas, auch besucht von New Yorkern, für die es noch lange nicht Matthäi am Letzten ist. Die Gegend südlich unseres Viertels schafft es sogar auf die Feuilletonseiten europäischer Blätter mit Oper und Philharmonie, da hält die Ubahn in einem tatsächlich neugebauten Bahnhof, da werden die Wohnstätten nicht bloß saniert, sondern ernstlich erneuert. Die Grenzen der Gegend, sie sind berühmt. Was dazwischen liegt, die Obere Westseite, es ist ein unbekanntes Loch, in diesem Kessel schwimmen die unverträglichsten Fische, da ist alles gefällig, Mr. Shuldiner. Warum bleiben Sie mit Ihrem Mädchen nicht in New Jersey.
Das ist es ja. Sie will nicht zu der orthodoxen Verwandtschaft.
Aber will das Kind denn unter die Heiden und Christen fallen, Mr. Shuldiner? Erst einmal ist dies eine weißhäutige Gegend, und wenn es hoch kommt, leben die Juden zu dreißigtausend unter der doppelten Zahl von angelsächsischen Protestanten, irischen und italienischen Katholiken und den zwei Deutschen ohne Konfession am Riverside Drive. Da sind gewiß Juden, die am Sabbat Wäsche waschen, und solche, die sind die Herzensfreude des Rabbiners; fragen Sie nur nach Mrs. Ferwalter. Und sie sind nicht, wie die künftige Mrs. Shuldiner, aus Rapid City, sondern aus Westeuropa, aus den slawischen Ländern. Wird eine junge Ehefrau aus South Dakota sich da zurechtfinden? Und was ist mit den anderen Fünfzigtausend, den Puertorikanern, den Negern und der Prise Japaner und Chinesen? Den unbekannten Völkerschaften? Alle mögen Amerikaner sein, aber alle Gruppen halten fest an der eigenen Sprache, sie verbinden sich nicht gern miteinander; die verwirrende Mischung ist nicht einmal beständig, so unverhofft ziehen sie hier um. Wäre Ihre Frau nicht lieber in einer Gemeinde, in der die Leute einander ähnlicher sind und auch noch Gründe wissen, sich zu vertragen?
Jedoch könnte Mr. Shuldiner hier seiner Frau etwas bieten. Die Großstadt habe nun einmal ihren Preis.
Gewiß, Mr. Shuldiner. Für ein Leben im Behagen stehen hier immer noch die
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