Jahrestage 2
größer, nun erst recht unzufrieden.
– Ganz der Vater: sagte Annie, überrascht, wie gegen ihren Willen, und erfreut.
– Nicht lange, und du sprichst mit ihm.
– Ach, Gesine. Ich hab ihm gestern geschrieben, nur die Adresse nicht.
Die Fleurykinder wurden gründlich in Unterricht genommen, auch Francis R. Knickebein, der abwechselte von Pamelas Hüfte zu der Maries. Ihnen wurde nicht die Einfahrt der Autos im Unterdeck erspart und nicht die Suche nach dem Schuhputzer in den Rauchsalons und nicht der grausame Hinweis auf die Schwimmwesten in der Decke; erst dann gab es Belohnungen am Imbißstand. Ellis Island hatten sie nicht versäumen dürfen; gleichmütiger wurde ihnen die Statue Freiheit vorgestellt, die ihre ausgegangene Fackel etwas gelangweilt von sich weghält; mit Nachdruck erfuhren sie von Pamela, daß die Fähren unterschieden werden können nach Kapitänen, die ihr Boot unmerklich oder mit rammenden Stößen ins Fährbecken bringen. Das Wasser war ruhig, die Luft um Null, und die Möwen hatten überlebt. Die Wassertürme, Lagerhallen, Piers und Schornsteine von Jersey City und Bayonne sitzen so unschuldig im Schnee, als seien sie nicht verwandt mit der Gegend, die sommers eine Wand aus rostigem Dunst vor den Sonnenuntergang hängt. So klar war die Luft.
Wo ich her bin ist es noch kälter. Die New York Times hat an der mecklenburgischen Ostseeküste den Schnee messen lassen und meldet Verwehungen von 2,13 bis zu 2,74 Metern, eingeschlossene Dörfer und Städte. Eine Nachricht wurde ihr das erst, weil vier sowjetische Panzer, drei als Wegwalzer, eine Schwangere aus »Beidersdorf« ins Krankenhaus nach Wismar fuhren. Where she gave birth to a healthy boy. »Macklenburg« sagt die New York Times, die schusslige alte Dame. Und jenes Beidersdorf ist die Gemeinde Beidendorf, um 800 Einwohner, zwischen Mühlen-Eichsen und Wismar gelegen, wo das Land 90 Meter über der Meereshöhe hingepackt ist. Wäre sie doch selber hingefahren, die vertrauensselige Tante Times, die Welt wüßte jetzt vom Beidendorfer Teich und die Entfernung nach Gneez und Jerichow.
– Du läßt etwas aus, Gesine.
– Vielleicht sollten wir uns nicht um Mecklenburg kümmern, solange Annie bei uns wohnt.
– Nein; etwas, das willst du mir nicht erzählen.
– Was fehlt dir denn?
– Am Donnerstagabend hast du aufgehört, als Semig unter Bewachung nach Gneez fuhr, mit dem Eisernen Kreuz an der Jacke.
– Das nahm ihm Wachtmeister Fretwust gegen Quittung ab.
– Es war aber eine von Lisbeths Geschichten, und du hast ihr nicht ihren Schluß gegeben.
– Lisbeth hat sich, sie -
– Du, jetzt kommen die anderen zurück.
Dann sind wir in St. George eingefahren und wurden von den Kindern durch die Korridore des Fährbahnhofs zu den Drehkreuzen nach Manhattan geführt und nahmen das nächste Boot zurück.
Es sei der kälteste Winter seit 1917: versicherte ein alter Herr den Kindern, als sie versuchten, sich in den Wind zu stellen. Er sprach nicht wie jemand, der sich erinnert, eher wie ein ungeduldiger Lehrer. Die Augen blitzten ihm, er wies streng in die Gegend, und im Eifer war ihm sein weißer Schnurrbart feucht geworden. Mitten im Hafen, vor den Piers von Brooklyn, seien die Schiffe eingefroren gewesen! Der ganze Sund von Long Island massives Eis! Und das im ersten Jahr des Krieges mit Deutschland! New York habe keine Kohle gehabt und die Schiffe hätten weder Soldaten noch Waffen an die europäische Front bringen können! F. F. junior kam an und wollte wissen, was für Ungeheuer jene »Hunnen« denn gewesen seien. Annie zögerte und sah die Deutsche von der Seite an, belustigt, nur auf das Technische der Lüge bedacht, und sie sagte: Die waren so mächtig, ihretwegen wurde die Chinesische Mauer gebaut. Und Mrs. Cresspahl sagte: Es war einmal und in Deutschland gab es einen Kaiser, den zweiten Wilhelm, der wollte, daß seine Soldaten in China keine Gefangenen machten und sich einen Namen auf eintausend Jahre. Weißt du, wie du uns ansiehst? wie ein Schiedsrichter im Tennis!
Dann liefen wir ein in das Becken an der Whitehall Street in Manhattan, und die Kinder leiteten uns die Rampe hinunter und in den Bahnhof und zum nächsten Schiff nach Staten Island.
– Das da drüben, Mrs. Killainen, ist ein Nachschublager der gottverballhornten U. S.-Marine: sagte Marie.
– Ach so: sagte Annie. Sie hatte nicht recht hingesehen und vielleicht nicht bemerkt, worauf sie antwortete.
Dann kamen wir an in St. George und gingen
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