Jahrestage 2
macht«. Es ist ihr noch nicht aufgefallen, daß Annie abzieht mit den Kleinen, in den eisigen Park, zum Einkaufen, ins Schwimmbad des Marseille, wann immer sie mit Schularbeiten nach Hause gekommen ist. Aufgefallen ist ihr, daß ich behandelt werde wie ein Ernährer, mit fertig serviertem Frühstück, kaum komme ich aus dem Bad, mit pünktlich eingeschalteten Frühnachrichten von WQXR , mit bereitgehaltenem Mantel und Schal, als sei Mrs. Cresspahl ein Mann und Vater. Hoffentlich besteht sie nicht darauf, es später nachzumachen. Auch im Haus hat Annie sich eingeführt auf ihre Art; Mr. Robinson kennt ihre Kinder mit Namen und Gesichtern auseinander, und Jason hat ihr angedeutet, daß im elften Stockwerk eine Wohnung wie die unsere frei werden könnte. Dafür müßte ein Fremder ihm die Hand über und über mit grünen Scheinen behängen. Was Annie an mitgebrachter Haushaltführung durchsetzt, es ist unmerklich; unverhofft sind die aluminen Fensterrahmen mit Stahlwolle blankgescheuert, glänzt der Schrank mit den Büchern wie frisch vom Restaurator; sie weist nicht darauf hin, es ist kein Tadel, nicht einmal Entgelt. Sie käme nicht darauf, mit Geschenken für Besteckkasten oder Wäschekommode sich einzumischen; nur einen unziemlichen Vorrat von Kerzen hat sie angelegt, weil »New York so leicht dunkel werden kann«. Dabei zieht sie den Kopf in die Schultern in komischer Furcht vor dem Vorurteil, bis alle fertig sind zum Lachen, und lacht. Da bleibt der Zähler des Tonbandgerätes unerschütterlich auf der Ziffer des Vorabends stehen, da werden keine Briefe durchgesehen; wohl mag sie da Staub wegwischen, oder das Schließblech der Schublade polieren. Was Annie hier war, vieles werden wir erst merken, wenn sie gegangen ist. Aber sie soll ja nicht gehen.
Es ist unerträglich, mit ihr zu leben. Nicht wahr, Gesine?
Es ist mir recht.
Du kannst es schwer aushalten.
Sie sehen, sie hören, und es ist in Ordnung.
Und wenn du in der Bank sitzt, und denkst an sie.
Nicht so gut.
Gib es zu, Gesine.
Diese Ausfragerei immer! Nur weil ihr es hinter euch habt!
Du hast Auftrag von uns, Gesine.
Ich gebe es zu.
Denk das genauer. Nicht so schonend gegen dich.
Ich könnte das nicht.
Du willst schon wieder um eine Ecke, Gesine. Das meinen wir nicht.
Als ob das nichts wäre! nach fünf Jahren Leben mit einem Menschen weglaufen ohne Brief und Nachsendeadresse, drei Kinder an der Hand! Hätte ich fünfjährige Gewohnheiten, könnte ich sie aufgeben? Leicht?
Du drehst da was um, Gesine. Du beutest aus, was du gegen eine Ehe findest.
Fangt ihr doch an.
Du hältst das nicht aus; du magst es dir nicht vorstellen. Annie geht mit ihren Plakaten gegen den Krieg in einem lächerlichen kleinen Aufzug spazieren auf der Hauptstraße einer Kleinstadt, angestarrt von Bankpräsident und Bürgermeisters Großmutter und Ladenschwengel, und ist mit einem Mal nicht mehr die respektable Mrs. Fleury, sondern ein ausländisches Kommunistenweib.
Ich bin nicht hineingegangen in ein Gefängnis, aus dem ich hätte ausbrechen wollen.
Aber das echte Gefängnis, in dem Annie eine Nacht lang saß, neben dem Trunkenbold vom Dienst und der örtlichen Ladendiebin?
Was sie im Laden klaut, wird sie brauchen; oder die Werbung hat sie dazu angehalten. Neben der eine Nacht zu verbringen, wie befördert es den Frieden für Viet Nam?
Gesine, Annie hat etwas getan.
Ohne Erfolg.
Sie hat nicht nichts getan.
Ich bin ein Gast in diesem Land.
Zumindest geboren ist Annie auch anderswo.
Auch ich bin einmal unterwegs gewesen mit Plakaten in der Kälte, immer auf und ab vor dem Palais des Kardinals Spellman, weil er die Soldaten der U. S. in Viet Nam gesegnet hatte.
Das tatest du aus Neugier, und nicht noch ein Mal.
Nicht wieder, weil ich nicht aus dem Land müssen will.
Wie kannst du leben wollen in einem solchen Land, Gesine.
Weil es das Leben von Marie geworden ist.
Das Kind, das Kind. Dein Notfallschirm, deine heilige Ausrede.
Das Kind soll haben, was ich nicht bekam.
Und nicht was Kinder in Viet Nam bekommen.
Beweist es mir! Beweist es mir! Zeigt mir, wie ich einem einzigen helfen könnte, zuverlässig! Sofort!
Wenn du nicht klein anfängst, hast du noch in fünf Jahren den Krieg.
Und wenn ich es nun nicht mehr bloß mit Worten versuche, und gehe mit einem Plakat im Riverside Park spazieren und wedele mit einer Fahne des Viet Cong in der Bank umher und schicke Schecks an die Students for Peace?
Schon besser, Gesine.
Garantiert ihr mir Frieden in
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