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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Ackermann an die Deutschen: Im einzelnen werden sich die
    starken Besonderheiten
    der historischen Entwicklung
    unseres Volkes,
    seine politischen und nationalen Eigenheiten,
    die besonderen Züge
    seiner Wirtschaft
    und seiner Kultur
    außerordentlich stark ausprägen.
    – Was sollten das für deutsche Eigenheiten sein? Wie die Richter da sich anziehen? Wieviel Türen ein Bus hat? Welche Farbe die militärischen Uniformen kriegen? Blau für die Marine?
    – Deutsches Militär war verboten. Waffen, Bauten, Literatur. Nichts da.
    – Daß ihr es auf deutsch machen solltet. Nicht in russischer Sprache.
    – Ja. Aber stell dir vor, was Leute wie Heimatforscher Stoffregen nun für eine Liste aufschrieben mit deutschen Dingen! Deutsches am Staat, Deutsches am Volk –
    – Gesine, nun zeig mir endlich einen, dem das Spaß macht. Der am Drücker sitzt. Der das freiwillig tut. So einen. Der Bescheid weiß. Der glücklich ist damit. Einen mußt du doch wissen.
    – Einen weiß ich. Stell dir vor, du bist dreiundzwanzig Jahre alt –
    – Gern, Gesine. Gern.
    – im Sommer 1946, du bist der Landrat für den Kreis Gneez, du bist den Kommunisten nicht zugelaufen um ein Stück Brot sondern über die Ostfront, du hast fast jede dritte Ortsgruppe im Winkel um Gneez gegründet, du darfst eine Waffe tragen, du sprichst mit den Russen ihre Sprache in einer moskauer Fasson, du hast ein Zimmer im Hotel Stadt Hamburg, zwar nicht mit Frühstück, aber winters muß Alma Witte es dir heizen –
    – Gerd Schumann heißt der.
    – Du heißt nun einmal so, den Namen hast du bekommen, du hast dich an den sogar gewöhnt, dir fehlen zwar ein paar tiefe Stellen darin, wo du ganz hineinpaßt, wo du ihn besonders findest, wo er niemand anders gehören könnte. Du sollst ihn jetzt nicht mehr ändern, vorläufig behalten, du bist damit zu lange auf den Dörfern umhergelaufen, die Leute würden dich falsch erkennen; wer aber hat für einen anderen Namen das Papier, darf es stempeln und unterschreiben? Du. Du übst diese Macht nicht auch noch aus, du verfügst über genug andere.
    – Dem fehlt nichts.
    – Du bist einer von den allerersten, dich haben die Sowjets mitgenommen in der Initiativgruppe Nord, du warst nicht mit dem Genossen Sobottka am 6. Mai in Stettin, du lerntest noch Verwaltung in Stargard, du warst mit in Waren an der Müritz, als die Gruppe Sobottka sich selber zur Landesparteileitung wählte für Mecklenburg und Vorpommern, du sitzt nicht auf dem falschen Dampfer, du hast bewiesen, was du taugst. Dir hat keiner was geschenkt, du hast gearbeitet: es ist auch dein Verdienst, wenn nun keiner mehr in Mecklenburg auf der Straße liegt, es war aber die Bevölkerung auf das Doppelte angewachsen, 52 Prozent sind Umsiedler aus dem Osten, die haben jetzt Dächer über dem Kopf, du hast sie zum Arbeiten angestellt, sie können nun die Besatzungsmacht ernähren, die Freunde, sie haben zu essen für sich selbst, auch du kriegst Brot für deine Schufterei. Wo früher zweieinhalbtausend Gutsbesitzer den Boden ausbeuteten, hast du fast fünfundsechzigtausend Neubauern einsetzen helfen, deine Partei war es, die hat 26 große Brücken nicht in Trümmern liegen sondern reparieren lassen, die Schiffahrtswege sind wieder offen, bis eben auf die Bolter Schleuse, zu deinen Leistungen gehören 539 laufende Lastkraftwagen, 243 Zugmaschinen, 437 Personenkraftwagen, 281 Motorräder, etwas Eisenbahn, elf fahrplanmäßige Omnibuslinien … das hat deine Partei in Gang gebracht. Das hast du geschafft. Das sind deine Sorgen.
    – Der kann gar keine anderen haben, Gesine.
    – Doch kannst du. Sorgen mit der Partei kannst du haben. Die Rote Armee setzt dich ein in Mecklenburg, da wäre ein wenig Kenntnis des Dialekts von Nutzen gewesen. Ahnst ja nicht, was die Leute so untereinander reden, womöglich dir ins Gesicht hinein. In einem ländlichen Gebiet, du hättest lieber gewußt, was eine Ackernahrung bedeutet, wieviel Milch eine Kuh denn überhaupt gibt, daß die hier den Boden auch noch in Ruten rechnen. So war es mit den anderen Genossen in der Initiativgruppe Nord, die kamen aus Schlesien, aus Bayern, von der Ruhr, die waren von Beruf Bergmann, Feinmechaniker, manche hatten noch gar nichts anderes gerochen als die Partei von innen. Einer hat in Schweden abgewartet. In Schweden! Dir hat die Partei geholfen, sie hat dich die Küste entlanggeschickt von einem Dorf zum anderen, dich haben die Leute bald nicht mehr ausgelacht, du hast ihnen sogar bewiesen, daß

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