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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Bezugscheins nicht bloß als Person beantragen mußten sondern anfangen durften: Als Beauftragte und Mitglied der Christlich-Demokratischen Union …
    – Was durften sie denn so beantragen?
    – Was sie wollten. Die Entfernung von Friedrich Schenk aus dem Amt als Bürgermeister, die Errichtung einer Elektrizitätsleitung nach Jerichow …
    – Was bekamen sie aber? Was war die Grenze?
    – Eine kann ich dir sagen. Sie hatten sich zusammengetan als private Vereine, sie waren in öffentliche Ämter nicht gewählt sondern eingesetzt, ein Mandat hatten sie, das war ihnen von allen Leuten aufgetragen, das saß ihnen selber auf der Haut. Das war die Vergrößerung des Wohnraums. Ein imperatives Mandat war das. Du bist immerhin Mine Köpcke, du bist sechs Tage in der Woche deinen Arbeitern hinterher gescheest, der Sonntagvormittag ist draufgegangen für Rechnungen und Buchhaltung und Steuer, nun sitzt du abends auf dem Sofa, Duvenspeck ist auch da, in Hemdsärmeln, du würdest dir gern auch die Bluse ausziehen, na, am Hals aufmachen, Duvenspeck is n beeten duhn, dat lett em gans pläsierlich, nu geit mi doch dat Glas vull, vull, Eduard, Prost Edi – da kommt das älteste Kind von den Flüchtlingen ins Zimmer, zwar wie verabredet, stellt sich an den Ofen, will die Kissen für seine Geschwister wärmen, so eine Zehnjährige sieht mehr als man denkt, ganz den Respekt noch verlieren die Kinder vor dir, bloß weil die keine Wohnung kriegen, hiermit beantragt die Liberal-Demokratische Partei, das Los der Umsiedler zu erleichtern und bittet die Sowjetische Kommandantur um Zuweisung von Wohnraum aus den Beständen der Besatzungsmacht auf dem Flugplatz Jerichow Nord.
    – Das war die Grenze.
    – Ja. Den Nachfolger von Pontij dachten sie zu überfahren, der mußte doch die leeren Häuser der ehemaligen Zivilangestellten auf dem Flugplatz sehen, die teilweise eingeschlagenen Fenster. Sie versprachen ihm die Herrichtung des Wohnraums durch das ehrliche Handwerk von Jerichow. Sie bewiesen ihm: für nur eine Kompanie Wachpersonal ist solch ein Flugplatz doch zu groß. Wenn da nicht ein einziges Mal geflogen wird, ist der strategische Wert gleich – na sagen wir: Null. Nu sehn Sie das doch mal ein, Herr Kommandant.
    – Was war das für ein Kommandant?
    – Den hab ich nicht gekannt, nicht gesehen. »Platzhalter« hieß er in Jerichow, weil er nach drei Wochen weiterging. Seine Antwort aber weiß ich, vorstellen kann ich mir Verzweiflung über diese durch und durch verdrehten Deutschen, wie die Hummeln dröhnen sie einem das Gehirn voll, keine Ahnung haben sie von Territorialtaktik, dicht an der Grenze zu den Briten, die sollen uns einmal fast besiegt haben? Es war eine kurze Antwort, gegeben mit dem allerletzten Rest von Geduld, auch beschwörenden Ton kann ich hören, der im letzten Wort in Wut ansteigt. Nun rate.
    – Der Kommandant bedauert …
    – Nein.
    – Die Rote Armee verbittet sich eine Einmischung in Angelegenheiten, die …
    – Nein.
    – Raus.
    – Nein.
    – »Den Flugplatz gibt es nicht.«
    – Den – Flugplatz – gibt – es – nicht!
    18. Juni, 1968 Dienstag
    Breshnew hatte Tränen in den Augen. In dem zweistündigen Gespräch mit der tschechoslowakischen Parlamentsdelegation am Freitag ging es anders zu, als Professor Konstantinov möchte und die sowjetische Nachrichtenagentur wußte. Zwar berichtet davon ein Vertreter der Volkspartei, eines Vereins mit katholischen Neigungen, jedoch gehört er zur Nationalen Front der Č. S. S. R.; zwar spricht er davon mit der leidigen Lidova Demokracie, jedoch konnte jeder in Prag diese Ausgabe kaufen. Breshnew streitet ab, daß sein Land sich einmischen will in die Demokratie der Tschechoslowakei. Ihn betrübt manches, was dort die losgelassene Presse unter die Bürger bringt, gekränkt ist die Sowjetunion; an Intervention denkt sie nicht. Vor einem beliebigen internationalen Gerichtshof will Leonid Iljič sich verantworten! Fehler will er überdies gemacht haben, wenn er auch nicht sagt, was für welche. Der erste Vorsitzende der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Iljič hat geweint.

    – Sozialismus sollte es werden bei euch, Gesine. Das haben sie euch von Anfang an nicht verschwiegen.
    – Sozialismus sollte es sein. Aber nicht einer aus der Tüte. Die Deutschen sollten sich selber einen machen.
    – Was ist deutsch, Gesine?
    – Das Sozialistische am Deutschen sollte besonders sein. Weitgehend spezifisch. Im Februar 1946 schrieb der Kommunist Anton

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