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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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kåmen nich un kåmen doch, as dat sei kåmen, un nich kåmen. Wenn du davon allmählich die Worte verstanden hast, wenigstens, soll es ein Rätsel gewesen sein, nein: eine Schwierigkeit beim Voraussagen der Zukunft, und was ist die Lösung? Duven un Arwten. Du mußt es dir eigens übersetzen lassen: Tauben. Erbsen. Erntewunsch. Ja. Du hast nicht Heimweh nach Mannheim, da haben die Alliierten ohnehin alles kaputtgeschmissen. Nur, im Badischen würden die Leute dich nicht schon wegen deiner Sprache so fremd ansehen. Zu tun hat die Kommunistische Partei auch im Neckargebiet. Dein Platz ist, wo die Partei dich hinstellt. Da wüßtest du aber auch einen.
    – Mach mir den nicht weinerlich, Gesine.
    – Du bist dreiundzwanzig! Du willst die Sache vollkommen haben. Die Partei soll rein sein. Nun hast du lauter Durcheinander. Kuddelmuddel. Kleinkram, unordentlichen.
    – Das versteh ich doch. Es ist wie in dem sowjetischen Film, den wir neulich gesehen haben. Wo der Rotarmist sein Parteibuch verliert. Für den war das schlimmer als … ob du morgen früh aufwachst in einem Hotelzimmer in der Mongolei und hast deinen Reisepaß verloren. Den kann ich begreifen, glaube ich. Und wenn es im Mecklenburgischen nicht gleich geht, laß ihn doch in der russischen Sprache wohnen. Bei den Freunden.
    – So hießen sie. Du darfst sie so nennen.
    – Tanzen im Dom Offizerov. Darf nicht jeder.
    – Du hast nicht Zeit dazu! Du kommst ins Amt, du wirst einmal den liegengebliebenen Berichtkram von zehn Tagen aufarbeiten, da ruft das Dreifache J dich an. Sie: sagt er. Vorgestern nacht, das war doch nahe an Brüderschaft. Kann einer vergessen. Was sagt er noch? Ob du am Bahnhof gewesen wärst. Sind Sie am Bahnhof gewesen? Aus. Ende. Du läßt dich zum Bahnhof fahren, die Pistole in der Manteltasche, was kann da schon sein als Krawall. Was du findest, ist ein Güterzug mit Aussiedlern, Überführten, aus Pommern, aus Polen, die sind krank, verlaust, jetzt steht noch einmal der Typhus vor der Stadt. Diese paar hundert können vierzigtausend anstecken. Das kostet dich drei Tage, die Toten begraben lassen, aus den Baracken der Volkssolidarität ein Krankenhaus herrichten, die Ärzte zu Nachtdienst verpflichten; dein sozialdemokratischer Bürgermeister bleibt ein paar Tage länger auf seiner schweriner Dienstreise. Kommt das Dreifache J einmal nachsehen, die Krankenträger ein wenig einschüchtern? Im Gegenteil, der Bahnhof und die Straßen darum sind zum Sperrgebiet für die Rote Armee erklärt. Was sagt Jenudkidse am vierten Tag? – Guter Junge: sagt er. Du zweifelst nicht an ihm, den holst du in Gedanken nicht ein; er dürfte dir Manches freundlicher mitteilen, nicht so von oben herab. Du siehst es ein, die Vereinigung mit den sozialdemokratischen Heinis ist nicht zu umgehen. Taktische Gründe sind Gründe. Die Sache mit der Volksfront muß sein. Du berichtest dem Dreifachen J von den Anständen mit den bürgerlichen Parteien; du tust es lustig, mit lachhaften Einzelheiten, du beklagst dich nicht. Du bringst den Neubauern Vertrauen bei zu ihrem Besitz, du erinnerst sie an den Grafen von Gröbern, der im preußischen Landtag die drei Ochsen beschrieb, die er auf seinem Acker brauchte, zwei vor dem Pflug und einen dahinter; endlich nehmen die Leute dir ab, daß du ihnen die Gerechtigkeit bringen willst. In Wehrlich haben sie dich eingeladen zur Feier nach der Verlosung, du hast da getanzt. Eine Frau hat dich umarmt, nicht aus Dankbarkeit, das kam ihr so bei in der Freude. Da bist du rot geworden, die Männer haben dir aus der Verlegenheit geholfen mit Schulterklopfen, da warst du einen Nachmittag lang nicht von auswärts. Dann schickt dir die S. M. A. jemand aus ihrer eigenen Zentralverwaltung für Landwirtschaft, wohlgenährte, wohlbetuchte Herren, einer mit Zwicker, die beweisen in einer öffentlichen, in einer genehmigten Versammlung, daß Mecklenburg nach Klima und Bodengüte die beste Gegend ist für die Züchtung und Vermehrung von Saatkartoffeln, ausreichend für den Bedarf von halb Deutschland, wenn eben nur 600 000 Hektar Gutsacker in großen Stücken zusammenbleiben. Damit sind drei Wochen Agitation zerstört. Die Leute glauben dir nicht mehr. Sie fragen einander, ob sie das Land wahrhaftig für sich bestellen. Das hat die Rote Armee dir eingebrockt mit ihrer Volksfront, Modell 1936. Unverhofft siehst du es ein, die Bürgerlichen haben bloß reden dürfen, das Land ist verteilt, bleibt verteilt. Mit ein bißchen Geduld tiftelst du noch

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