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Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 3 - aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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tun.

    Wenn Kinder nichts haben wollen?
    Nicht die Stelle Bewußtsein, die als Ziel ihr Ende weiß, nicht einmal sich?

    In Europa gehen Väter hinkend im Rinnstein, Papiermützen auf, tutend, johlend, Bier in der Kehle, sich selbst zur Ehre.
    Vatertag.
    Jungen darunter, die haben noch keinem Mädchen ein Kind gemacht, sie werden es schon noch tun.
    Ehre des Vaters.
    Weisheit der Natur.
    Fortsetzung des Menschengeschlechts.

    Väter wissen wozu.
    17. Juni, 1968 Montag
    Die U. S. A. wollen tschechoslowakisches Geld freigeben. Nein, nicht das Gold im Wert von $ 20 000 000, das der Nation gehört, das wünschen sie verrechnet gegen Entschädigung für 1948 enteignetes Eigentum. Dies sind nur 5 Millionen Dollar, die einigen zehntausenden Bürgern zustehen als Sozialversicherung, Eisenbahner- und Militärpension, verdient in hiesigen Aufenthalten. Es gehört ihnen, aber ihre neue Regierung soll erst einmal schriftlich geben, daß die Summen ihre Empfänger auch erreichen, in angemessenen Umtauschraten. – Wir sind keine Diebe: sollen die Kommunisten der Č. S. S. R. sagen.
    Schon wieder ein sowjetischer Dichter hat Gefühle geäußert, Vosnessenskij ist sein Name. Er tut das nicht für den sechsundsechzigjährigen Arzt, der bei einem Hausbesuch Freitag nacht in Brooklyn erschossen und beraubt wurde, nein anläßlich eines weniger gewöhnlichen Todesfalls:
    Wilde Schwäne. Wilde Schwäne. Wilde Schwäne.
    Nach Norden. Nach Norden. Nach Norden!
    Kennedy … Kennedy …,

    er beklagt die Einsamkeit der Apfelbaumwurzeln auf Kennedys Balkon im 30. Stockwerk, wobei er sich nach Meinung der New York Times einer poetischen Lizenz bedient sowie auch eines Defekts in der Erinnerung, Mrs. Kennedy wohnt im 15. Stock; weiterhin hat ihn eine Ähnlichkeit des toten Senators mit Sergej Yessenin überfallen.

    – Du hast recht, die Woche ist rum: sagt Marie: Könntest du mich doch noch eine Weile in Ruhe lassen mit diesem Namen?
    – Versógelicke. Entschuldige, mein ich.
    – Du wolltest mal probieren. Richtig. Hätt ich auch getan.
    – In der IRT , weißt du, da sind doch die Ventilatoren paarweise angebracht. Da haben sie je einen abmontiert. Da tritt dir der Schweiß aus, als ob du am ganzen Körper w–
    – Gesine, ich bin albern, ich weiß. Es wird verheilen. Es wird einmal gar nicht da sein.
    – Wenn du wenigstens heulen wolltest!
    – Du nimmst mir auch übel, daß ich über den Tod von Martin Luther King in paar Tagen hinweg war. Von dem, verstehst du, wußte ich nicht so viel.
    – Wie war es vorgestern auf der South Ferry? Die erste Fahrt auf eigene Faust.
    – Glattes graues Wasser. Da wollte ich dich strafen. Das ist mir gelungen.
    – Ja. Nein. Da mußtest du einmal ohne Hilfe anfangen.
    – Gesine, ist es mecklenburgisch, daß ich eine Versöhnung mit dem Willen allein nicht hinkriege?
    – Laß uns wieder warten.
    – O. K. Nun erzähl mir was, das geht mich gar nichts an.
    – Louise Papenbrock?
    – Die geht mich gar nichts an.
    – Machen wir es mit Falle oder ohne?
    – Ohne.
    – Deiner Urgroßmutter ging es kaum behaglich in ihrer neuen politischen Wichtigkeit. Gelegentlich mußte sie sich reinweg abstützen auf Trotz gegen den renitenten Schwiegersohn Cresspahl, der anderen Leuten als ihr abgeraten hatte von all disse Parlamenterei noch eins. Davon wurde das Gegenteil nicht ganz richtig, das half ihr wenig beim Einschlafen. Sie war zum ersten Mal bei einer Partei eingeschrieben, in deren Betrieb vermutete sie Tricks, zum Fragen dachte sie sich zu gut. Wie gern wär sie Pastor Brüshaver in allem gefolgt! gerade von dem hatte sie Ärger auszustehen, so recht zum heimlichen Schütteln. In diese Union war sie eingetreten ihrem Papenbrock zuliebe, seinem eingebildeten Befehl folgend, bloß ihm einen Platz halten wollte sie darin. Papenbrock jedoch, ungefähr war ihr so, hatte Geschäft und Politik streng auseinander gehalten, noch im Kontor, gewiß am Eßtisch; sie aber hatte die Politik ins Haus geholt! Die Pontijsche Truppe war schimpflich abgezogen, die Wassergahnschen Veranstaltungen war sie los (den Unterleutnant Vassarion hatte sie nicht für eine politische Erscheinung angesehen); heimlich versuchte sie den großen Saal im Erdgeschoß zurückzuziehen ins Papenbrocksche Eigentum und mag sich wohl ein paar Quadratmeter Fußboden verdient haben, als sie da vier Tage lang auf den Knien lag und scheuerte. Der Saal schien ihr leicht zu verstecken, nämlich für das Behausen von Flüchtlingen ungeeignet;

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