James Bond 01 - Casino Royale (German Edition)
Quartier des Invalides anrufen. Sie drohten mir, und schließlich bekam ich keine Anweisungen mehr, und ich wusste, dass mein Liebhaber in Polen sterben musste. Doch sie befürchteten wohl, dass ich reden würde, denn ich erhielt eine letzte Warnung, dass SMERSCH mich holen würde, wenn ich nicht gehorchte. Ich kümmerte mich nicht darum. Ich war in dich verliebt. Dann sah ich den Mann mit der schwarzen Augenklappe im Splendide und fand heraus, dass er sich über mich erkundigt hatte. Das war an dem Tag, bevor wir herkamen. Ich hoffte, ihn abschütteln zu können. Ich beschloss, mich auf eine Affäre mit dir einzulassen und von Le Havre aus nach Südafrika zu fliehen. Ich hoffte, ein Kind von dir zu bekommen und irgendwo ganz neu anfangen zu können. Doch sie folgten uns. Man kann ihnen nicht entkommen.
Ich wusste, dass es das Ende unserer Liebe sein würde, wenn ich es dir erzählen würde. Mir war klar, dass ich entweder darauf warten konnte, von SMERSCH umgebracht zu werden, wobei du vielleicht ebenfalls zu Tode kommen würdest, oder ich konnte mich selbst umbringen.
So ist es, mein Liebster. Du kannst mich nicht daran hindern, dich so zu nennen oder zu sagen, dass ich dich liebe. Das und die Erinnerungen an dich nehme ich mit mir.
Ich kann dir nicht viel sagen, was dir helfen wird. Die Pariser Nummer war Quartier des Invalides 55200. Ich habe nie jemanden von ihnen in London getroffen. Alles wurde über eine Kontaktadresse geregelt, ein Zeitungsgeschäft am Charing Cross Place 450.
Bei unserem ersten gemeinsamen Abendessen hast du über diesen Mann in Jugoslawien gesprochen, der des Verrats angeklagt wurde. Er sagte: »Ich wurde vom Sturm der Welt fortgetragen.« Das ist meine einzige Entschuldigung. Das, und meine Liebe für den Mann, dessen Leben ich zu retten versuchte.
Es ist spät und ich bin müde, und du bist direkt hinter dieser Tür. Aber ich muss tapfer sein. Du könntest mein Leben vielleicht retten, aber ich könnte es nicht ertragen, dir in die Augen zu sehen.
Mein Liebster, mein Liebster.
V.
Bond warf den Brief zu Boden. Automatisch rieb er seine Finger aneinander. Plötzlich schlug er sich mit geballten Fäusten gegen die Schläfen und stand auf. Einen Augenblick lang schaute er auf das ruhige Meer hinaus, dann fluchte er laut und heftig.
Seine Augen waren feucht, und er wischte sie trocken.
Er zog sich ein Hemd und eine Hose an, ging mit steinharter Miene nach unten und begab sich in die Telefonzelle.
Während er nach London durchgestellt wurde, ging er noch einmal in Ruhe die Fakten aus Vespers Brief durch. Alles passte zusammen. Die kleinen Schatten und Fragezeichen der vergangenen vier Wochen, die sein Instinkt bemerkt, sein Verstand jedoch verdrängt hatte, sie alle standen nun vor ihm wie Signalschilder.
Er sah sie nun nur noch als Spionin. Ihre Liebe und seine Trauer wurden in die Abstellkammer seines Geistes verbannt. Später würde er sie vielleicht wieder hervorholen, sie leidenschaftslos untersuchen und sie dann verbittert zu dem anderen sentimentalen Ballast zurückstecken, den er lieber vergessen wollte. Momentan konnte er nur an ihren Verrat am Geheimdienst und an ihrem Land denken – und an den Schaden, den sie damit angerichtet hatte. Sein professioneller Verstand war voll und ganz mit den Folgen beschäftigt – die Tarnungen, die im Laufe der Jahre aufgeflogen sein mussten, die Codes, die der Feind geknackt haben musste, die Geheimnisse, die aus der Zentrale genau jener Abteilung nach draußen gesickert sein mussten, die sich der Infiltrierung der Sowjetunion verschrieben hatte.
Es war entsetzlich. Gott allein wusste, wie dieses Durcheinander wieder in Ordnung gebracht werden konnte.
Er knirschte mit den Zähnen. Plötzlich kamen ihm Mathis’ Worte wieder in den Sinn: »Es gibt eine Menge böser Zielpersonen auf dieser Welt.« Zuvor hatte er gesagt: »Und was ist mit SMERSCH? Ich kann Ihnen versichern, dass mir die Vorstellung, dass diese Kerle durch Frankreich laufen und jeden umbringen, den sie als Verräter an ihrem kostbaren politischen System betrachten, ganz und gar nicht gefällt.«
Wie schnell Mathis recht bekommen hatte und wie schnell ihm seine eigenen kleinen Spitzfindigkeiten um die Ohren geflogen waren!
Während Bond über die Jahre Cowboy und Indianer gespielt hatte (ja, Le Chiffres Beschreibung war absolut zutreffend), hatte der wahre Feind im Geheimen gearbeitet, kaltblütig, ohne Heldentaten, direkt vor seiner Nase.
Plötzlich sah er im Geiste
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