Allmachtsdackel
1
Ich hatte sie die Max-und-Moritz-Toten getauft. Damals in meinem ersten Artikel für die Sonntagsbeilagen als Schwabenreporterin Lisa Nerz kurz nach meinem Rauswurf beim Stuttgarter Anzeiger. Anfang der Sechziger war ein Bub in Weilstetten vom Mähdrescher zerdroschen worden, in den Siebzigern wurde ein Bursche in Balingen von der Schneckenwelle in die Stotzinger Müh le gezogen und zermahlen. In den Neunzigern hatte ein betrunkener Konfirmand in einer Hecke seinen Rausch ausschlafen wollen und wurde vom Hochleistungshäcksler eines Erzinger Bauern zerstückelt, und vor fünf Jahren versprühte ein Bauer in Heselwangen mit seiner Gülle Knöchlein auf dem Feld.
Ich löschte die alten Geschichten von meinem Computer. Es gab so Endzeittage, gerne freitags. Seit Wochen dörrte der Sommer Felder und Gehirne aus. Der Stuttgarter Kessel hustete Feinstaub und schwitzte Kohlendioxid. Die Glasfassaden der neuen Autohäuser, die zusammen mit dem Roten Kreuz den Bunker der Staatsanwaltschaft bedrängten, spiegelten erbarmungslos die Sonne in den Schacht der Neckarstraße. Nur Cipión wollte unermüdlich Gassi.
Ich fuhr nach Degerloch hinauf, aber auch der Wald versagte die Kühlung. Meinem Rauhaardackel hing alsbald die Zunge so weit aus dem Maul, dass ich befürchtete, er werde drauftreten. Ich kürzte über den Dornhaldenfriedhof ab, direkt an den RAF-Gräbern mit den beiden vaterlosen Söhnen und der Pfarrerstochter vorbei. Gott ja, dreißig Jahre war das jetzt auch schon her, dass man sie mit den Füßen voran aus der JVA Stammheim getragen hatte.
Viertel vor acht schlüsselte ich mich frisch geduscht und neu verschwitzt im silbergrauen Leinenanzug, rosafarbenem Seidenhemd mit hellgrüner Krawatte, braunweißen Golfschuhen und Diamantknopf im Ohr in die Wohnung von Dr. Richard Weber, der in der Kauzenhecke 6B in nobler Halbhöhe am Haigst sein Stockwerk mit einem Bechsteinflügel und Jugendstilstuck teilte.
»Wozu habe ich eigentlich einen Spamfilter«, fluchte er und löschte. »Für so was bin ich zu prüde.«
Da hatte ich es als gelernte Katholikin leichter. Ein sündiger Blick und dann die Beichte. »Beide so offen und versaut wie andere Girls, nur dass sie Mutter und Tochter sind. Die schwanzgeilen Luder machen sich sogleich über den dicken Lümmel her.«
»Hoffentlich ist die Kleine nicht minderjährig!« Der Staatsanwalt witterte Straftatbestände und wurde nervös.
»Wann müssen wir dort sein?«, erkundigte ich mich.
»Um acht.« Richard klickte seinen Computer ins Aus. Er trug einen cognacfarbenen Anzug, ein cremefarbenes Hemd, eine kupferfarbene Krawatte und italienische Slipper.
»Dann aber hurtig. Wir kommen zu spät! Was ist denn heute los mit dir?«
Cipión hob den Kopf. Er lag, wie nur ein Hund sich betten konnte, zwiespältig und unbequem auf der Schwelle der Balkontür, den Hintern auf dem Teppich im Zimmer, den Kopf auf den Balkon und die Nase in den Lüften, die aus der Stadt heraufstrichen.
»Gehen wir zu Fuß?«, schlug Richard vor. »Ein bisschen Bewegung tut uns gut.«
Bis zum Restaurant waren es nur ein paar hundert Meter die Alte Weinsteige hinunter, an Zäunen und steilen Hangstücken entlang, begleitet vom Ausblick über den Kessel hinweg bis hinüber zu den Weinhängen des Schnarrenbergs mit der Esse der Müllverbrennungsanlage im Licht des Abends, der die Sonne nicht gehen lassen wollte. An der Haltestelle, an der zweigleisig die Begegnung der Zahnradbahnen geregelt wurde, duckte sich stadtseitig im Hang der Flachbau des Restaurants Wielandshöhe.
Das Entree war taktvoll gekühlt, das Lächeln der Empfangsdame sonnig. Vincent Klink materialisierte sich aus den Tiefen der Küche und begrüßte Richard per Du. Sicher nicht aus Freundschaft, sondern weil er wusste, dass zahlende Gäste den Wirt bieder haben wollten. Zu gegensätzlich waren ansonsten die beiden Männer, Richard mit seinem normativen Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit, die er vertrat, und Vincent, der nicht nur fürs Fernsehen kochte, sondern auch zuweilen kabarettistisch durch Szenekneipen tourte und sich für Motorradfahrten einlederte.
»Und«, erkundigte sich Richard, »hast du die Gänseleber wieder auf deiner Speisekarte?«
Vincent verneinte. Er habe noch keinen Betrieb gefunden, der die Gänse wie weiland seine Großmutter im Nördlinger Ries mit Brennnesseln und Teignudeln stopfte. »Und dass man ohne Gänseleber seinen Michelinstern verliert, das will ich einfach nicht glauben.«
»Sicher nicht«,
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