Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Seniorensein ausreichend vorbereite … – Ring-Ring!
Ups, kleinen Moment – Telefon.
»Mockridge? Ja? Ja, der bin ich … Ja, genau … natürlich … gar kein Problem … Alles klar, danke. Wiederhören!«
Okay, da bin ich wieder. Das waren die Nachlassverwalter von Martin Luther King – ich soll mir schleunigst was anderes einfallen lassen, sonst verklagen die mich bis auf die Feinripp-Unterhose. Haben die wirklich so gesagt. Da hätte ich ausgerechnet von denen ruhig etwas mehr Toleranz erwartet – aber egal. Ich kann’s auch anders erklären. Folgendes: Wir alle sind als Kind in die Schule gegangen. Und auch wenn sich uns damals Sinn und Zweck vielleicht nicht richtig erschlossen und sich unsere Lust aufs Lernen arg in Grenzen gehalten haben – so wissen wir doch spätestens heute: Schule war wichtig. Schule hat uns aufs Erwachsenwerden vorbereitet. Viele Dinge wurden uns dort beigebracht, die später wichtig waren, um als mündiger Bürger durchs Leben gehen zu können. Dafür sind wir dankbar. Zu Recht.
Wer jedoch, frage ich Sie, bereitet uns aufs Altwerden vor? Wo können wir rechtzeitig lernen, was uns erwartet, welche Rolle wir in der Gesellschaft einzunehmen haben? Ich fordere hiermit die zweite Schulpflicht und präsentiere Ihnen exklusiv meinen ersten Entwurf mit den wichtigsten Eckdaten (geht in Kopie direkt an die Bundesregierung):
Schulpflicht: Schulpflichtig sind alle ab fünfzig. Ausnahmslos. Berufsjugendliche, die sich auch mit fünf Jahrzehnten Lebenserfahrung auf dem Buckel immer noch an ihre schwindende Jugendlichkeit klammern, werden notfalls gegen ihren Willen eingezogen. Gerade diese stellen sonst im späteren Alter eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit dar. Das weiß jeder, der beim Spaziergang schon mal von einem siebenundachtzigjährigen, halbblinden Greis auf neonfarbenen Inline-Skates umgebrettert wurde.
Stundenplan Seniorenschule
MO
DI
MI
DO
FR
SA/SO
MATHEMATIK:
Die Lehre von den unendlichen Zahlen – wie alt bin ich eigentlich?
INFORMATIK:
Programmierkurs fürs Blutdruckmessgerät
SPORT:
Training für Treppenlifter-Formel- 1
PHYSIK:
Schwarze Löcher – eine Reise in unser Gedächtnis
MUSIK:
Die Senioren-Vogelhochzeit: Amsel, Drossel, Granufink und Grauer Star
RAUM FÜR NEUES SCHAFFEN:
Alles von Mo-Fr Gelernte wieder vergessen
SPORT:
Taubenfütter-Triathlon im Park: Brot abbrechen, werfen, zuschauen
CHEMIE:
Sodiumsulfate und Sodiumbicarbonate in Aktion – wie wirkt mein Kukident?
FREISTUNDE
für Frühstück in der Apotheke
RELIGION:
Jesus – wer kannte ihn noch persönlich?
ENGLISCH:
Hä?
MUSIK:
Der Senioren-Schulchor probt: Herz-Rhythmus-Störungen, I. Satz in D-Dur
SEXUALKUNDE:
Was ist Sex? Und wie ging das noch mal?
VERKEHRSERZIEHUNG:
Deutschlands längste 30er-Zone – Senioren auf der Autobahn
MATHEMATIK:
Eins, zwei oder drei? Wir berechnen unsere Pflegestufe
PRAXISSTUNDE
Aufgabe: »Machen Sie einen frechen Jugendlichen zur Schnecke!«
BIOLOGIE:
Survival of the fattest – Darwins Theorie über meinen Bauch
WERKEN:
Wir liften uns gegenseitig
WIRTSCHAFTSKUNDE:
Wie viel gebe ich dem jungen Mann vor meiner Haustür, der behauptet, mein Sohn zu sein?
ERDKUNDE:
Was vom Kirschbaum des Nachbarn rüberwächst, gehört mir, oder?
PHYSIK:
Der Urknall – Augenzeugen berichten
Kinderabend: Zweimal jährlich findet der – für beide Seiten gleichermaßen – wichtige Kinderabend statt: Hier hat der besorgte Nachwuchs die Möglichkeit, sich im persönlichen Gespräch mit den Lehrern über den Leistungsfortschritt seiner Eltern zu erkundigen. Eklatante Defizite wie die Fünf minus in der letzten Physikarbeit (Berechnung der Senile-Bettflucht-Geschwindigkeit) können offen angesprochen werden – aber : Sohn oder Tochter sollten beim Kinderabend pauschale Schuldzuweisungen vermeiden. Sätze wie »Sie können meinen Vater ja sowieso nicht leiden!« oder »Bei Ihrem eintönigen Unterricht würde meine Mutter auch ohne Diazepam einschlafen!« sind nicht angebracht. Umgekehrt gilt selbstverständlich dasselbe – wobei die Lehrkraft bei einem betont flippigen Mittdreißiger-Sohnemann natürlich schnell (und korrekt) schlussfolgert, woher ihr Seniorenschüler die Flausen im Kopf hat. Konstruktive Hinweise wie »Ihr Vater kommt immer ohne richtiges Pausenbrot zur Schule«
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