SGK342 - Das Echsengezücht greift an
Die Nacht war kühl und regnerisch.
Der Mann wankte aus der Bar, schien von dem
Wetter, jedoch nichts zu merken.
Es war drei Uhr morgens. Auf dem feuchten
Asphalt schimmerte trüb das Licht der altmodischen Lampen, links und rechts vom
Eingang des Lokals.
Die unsicheren Schritte des einsamen Zechers
hallten auf der Straße. Hohl verklangen sie in der engen Gasse mit den
schmalbrüstigen Häusern.
Peter Marossa hielt sich im Schutz der
dunklen Wände, hatte jedoch den Kragen hochgestellt und den Kopf zwischen die
Schultern gezogen.
Weniger als eine Steinwurfweite von dem
wankenden Spätheimkehrer entfernt, der seine nahgelegene Wohnung zu Fuß
erreichen wollte, bewegte sich plötzlich etwas mitten auf der Straße.
Es sah aus, als würde sich ein Mensch, der
gestürzt war, erheben.
Peter Marossa blieb stehen und mußte zweimal
hin- sehen, als der Unbekannte sich erhob, der, vom matten Licht einer
altmodischen Straßenlaterne getroffen wurde.
Marossa schluckte, preßte die Augen zusammen
und beschloß in diesem Augenblick, nie wieder einen Schluck zu sich zu nehmen.
Das vor ihm - war kein Mensch!
Ein Wesen stand auf zwei Beinen, hatte auch
zwei Arme, aber sein Körper war naß und glitschig und mit gelbgrünen Schuppen
bedeckt... Es konnte nur eine flinke, mannsgroße Echse sein, die aus dem
Kanalisationsschacht stieg - und blitzartig auf Marossa zuschnellte, ehe der
Mann sich von seiner Überraschung erholte.
Angst und der genossene Alkohol schränkten
seine Bewegungsfreiheit ein.
Marossa, der hier im ersten Bezirk der Wiener
Innenstadt zu Hause war, jede Straße und jede Gasse kannte, wurde von einer
Sekunde zur anderen nüchtern.
Die mannsgroße Echse warf ihn zu Boden.
Marossa wollte um Hilfe rufen, aber die
glitschige Hand preßte sich auf seinen Mund.
Dem Wiener schlug der dumpfe Geruch der Kanalisation ins Gesicht und der modrige Atem aus dem
Maul des unheimlichen Geschöpfes.
War das ein Alptraum, zurückzuführen auf zu
reichlichen Alkoholgenuß? Begann so das Delirium tremens?
Marossa schlug und trat um sich und
entwickelte dabei erstaunliche Kräfte. Es ging um sein Leben! Der unheimliche
Gegner versuchte ihm die Luft abzustellen, um ihn dadurch kampfunfähig zu
machen.
Der Echsenmann war schwer, durch seine
glitschige Körperoberfläche praktisch kaum zu fassen. Wenn Marossa glaubte,
einen Griff in seiner Todesnot anbringen zu können, rutschte er ab.
Sein Herz pochte kräftig, kalter Schweiß
perlte auf seiner Stirn, vermischte sich mit dem Regen, und Marossa meinte, die
Lungen würden das nicht aushalten.
Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen.
Die Giebel der dicht stehenden Häuser schienen sich wie unter einer in Bewegung
geratenen Gummihaut zu verziehen.
Er merkte nicht, wie die scharfen,
krallenartigen Fingernägel sich in seinen Hals bohrten und die Haut seines
Gesichtes aufrissen.
Der Unheimliche, der ihn überfallen hatte,
hielt plötzlich inne ...
Da war etwas!
Schritte in einer Seitenstraße. Sie näherten
sich rasch.
Die Echse fuhr zusammen. Sie ließ
augenblicklich los und richtete sich auf.
Zwei längliche Schatten schoben sich über die
schräg gegenüberliegende Hauswand.
Da kam jemand ...
Die Echse ergriff die Flucht.
Geduckt, nach Menschenart, lief das Geschöpf
auf die andere Straßenseite und eilte im Schutz der Schatten weiter. Es
erreichte die Straßenecke, lief in einen Torbogen und verschwand im
stockfinsteren Hinterhof eines Gebäudekomplexes.
Schwer atmend lag Marossa auf dem Boden,
unfähig, sich aus eigener Kraft zu erheben.
Die Schatten der beiden Menschen, die aus der
Seitenstraße traten, streiften ihn. Wie durch Watte vernahm Marossa eine
erschreckte weibliche Stimme.
»Hey, du ... da liegt einer ...«
Er hob den Kopf. Sein Gesicht brannte wie
Feuer.
»Wird zu tief ins Glas geschaut haben«,
konstatierte eine zweite, diesmal männliche Stimme.
Die Schritte kamen rasch näher.
»Verfolgen ... lauft ihm nach ... er darf
nicht entkommen ...« Es wurde Marossa nicht bewußt, wie er diese Worte sagte.
Das Paar blickte sich an, machte aber keine
Anstalten, die Straße entlangzulaufen.
»Wem sollen wir nachlaufen, warum ?«
Ein Gesicht beugte sich über Peter Marossa,
dem wirr die dunklen Haare in die Stirn hingen. Der Regen hatte sie völlig
durchnäßt.
Ein Schirm wurde über den Mann gehalten.
»Die Echse ... die Bestie ... sie wollte mich
töten ...«, stieß er hervor.
Hände packten ihn und waren ihm behilflich,
auf die Beine
Weitere Kostenlose Bücher