Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Ausbruchversuch aus ihrem Guantánamo-Aquarium gestartet hat und nun die Haustür ins kubanische Asyl sucht. Ich vereitele die Flucht und greife beherzt mit der linken Hand nach dem feuchten Panzerträger. Speedy beißt ebenso beherzt in die ungeschützte, weiche und empfindliche Stelle zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger. Ich habe keine Zeit für Schmerzen. Speedy ist die Enttäuschung in den Augen anzusehen. Das rabiate Reptil ergibt sich seinem Schicksal, der kanadische Grizzly hat gewonnen.
Stand der Aufträge:
1. Hammer in die Werkzeugkiste,
2. Telefon in die Basisstation,
3. Garage aufschließen für Getränke-Vendel,
4. Auto in die Waschanlage,
5. Geld für 3H Automobile überweisen,
6. Postkarte einwerfen,
7. Papiermüll rausbringen,
8. Schildkröte inhaftieren.
Geht doch!
02:01 Minuten
Da meldet sich meine Nase zu Wort: »Bill, riech doch mal! Was stinkt hier denn so?« Uaaah! Die Kartoffeln! Ich renne wie ein angeschossener Gepard in die Küche.
Ich habe die Kartoffeln zwar geschält, aber kein Wasser in den Topf gegossen. Jetzt ist der Topf verkokelt und die trockenen Kartoffeln kann man nicht mehr essen, nicht mal als Bratkartoffeln. Ich schmeiße den qualmenden Topf aus dem (geöffneten) Küchenfenster.
02:12 Minuten
Das Telefon läutet. Ich halte die Schildkröte ans linke Ohr und wundere mich, dass mein Ohr feucht wird. Dann fällt mir ein, dass das Telefon noch zwischen meiner rechten Schulter und meinem rechten Ohr klemmt. Ich drücke mein gut trainiertes Ohrläppchen auf die Taste mit dem grünen Hörer und sage: »Mockridge! … Ach, Frau Reinecke … Mein Auto steht vor Ihrer Tür? Ja, ach so. Stimmt, heute kommt die Kehrmaschine … Kein Problem, ich stelle das Auto weg … Bitte? Ich nachts Papier? … Nein, äh, ich trage neuerdings nachts Werbung aus, ich brauche das Geld, ich bin pleite … Ehrlich! Fragen Sie die Leute von 3H … Danke, Ihnen auch!«
02:37 Minuten
Jetzt meldet sich mein feuchtes Ohr zu Wort: »Äh, Bill, hör doch mal! Klingt das nicht wie der Müllwagen?« Ja sicher, die blaue Tonne wird abgeholt. Ich flitze schnell wie eine Wüstenrennmaus zurück ins Arbeitszimmer, lege Speedy auf den Überweisungsträger in den vollen Papierkorb und galoppiere wie ein altes Fohlen nach draußen. Dort kann ich noch sehr gut die Rücklichter des Müllwagens erkennen.
» Warten Sie! Bitte! «
Ich will gerade dem Müllwagen hinterherlaufen, da stellt sich mir ein weißer Kastenwagen in den Weg. Aufschrift: »Getränke-Vendel«.
Mit letzter Kraft rufe ich: »Bitte stellen Sie alles in die Garage rein, ich muss jetzt mit der Schildkröte in die Bank, mein Auto ist abgebrannt!«
03:00 Minuten
Fertig!
Das waren exakt drei Minuten aus meinem Leben. Ich weiß nicht, warum, aber ich mache mir das Leben unnötig schwer. Tag für Tag.
Keine Sorge, ich habe alles noch hinbekommen. Der Hammer lag wieder im Werkzeugkasten, das Telefon lag in der Basisstation – zumindest so lange, bis die Jungs aus der Schule kamen. Das Auto blitzte nach der Waschanlage, 3H Automobile hat pünktlich das Geld bekommen und Beppo seine Glückwunschkarte. Die Schildkröte schwimmt wieder im Aquarium, und ich habe den Papiermüll nachts erfolgreich in der Nachbarschaft verteilt. Die Kinder haben sogar ihre Kartoffeln bekommen, frisch geschält und in Salzwasser gekocht. Alle waren zufrieden.
Bis auf Liam: »Dad, was ist denn mit Speedy passiert?«
»Die war auf der Flucht, ich konnte sie aber im Flur gefangen nehmen.«
»Okay, Dad! Aber warum klebt auf ihrem Panzer eine Briefmarke?«
»Liam, hast du es etwa vergessen? Speedy hat doch heute Geburtstag!«
Ich weiß, mir hätte auch eine bessere Ausrede einfallen können. Fiel mir aber nicht. Zum Glück, denn abends habe ich spontan acht Pizzas bestellt: Sechs für meine Jungs, eine für mich und eine mit doppelt Scampi für Speedy. Und dann haben wir Speedys Geburtstag gefeiert. Meine Jungs und ich. Und die Schildkröte. Über den Abend reden wir heute noch. Man muss die Feste halt feiern, wie sie fallen.
So, fertig mit dem Kapitel. Jetzt erst mal einen Kaffee … Oder Tee? Dann gehe ich mal in die Küche … So, schön langsam … Filter aus dem Schrank nehmen. Ich mache doch Kaffee … Oder ein Bier? Nee, ist noch nicht dunkel draußen … Ach egal, mach ich eben die Rollläden runter. Wo ist denn der Öffner … Egal, Tee ist eh besser … Am besten ist Früchtetee. So, erst mal … Hä? Hallo? Ist da wer?
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