Jenseits aller Tabus
Assistentin, nicht seine Geschäftspartnerin, nicht seine Teilhaberin, nein: Sie war die Assistentin – immer gewesen und wollte es auch bleiben. Selbst wenn Xavier beinahe gebetsmühlenartig etwas anderes behauptete. Aber etwas Abstand zu ihm brauchte sie jetzt einfach. Sie legte den Bikini zurück zu den anderen Sachen in den Koffer und holte aus dem Kühlschrank ihrer Kochnische eine Flasche Rotwein.
Sie schenkte sich ein und las währenddessen in dem Prospekt des Hotels. Vor ein paar Jahren – sie war noch ganz neu in der Galerie gewesen – war ihr ein solcher Prospekt schon einmal in die Hände gefallen, und sie hatte ihn aufbewahrt. Coco war sich nicht ganz sicher, warum, aber dieses Foto des Gebäudes auf der ersten Seite hatte etwas wunderbar Altmodisches und erinnerte sie an einen Werbespot für ein Parfüm, der ihr besonders gut gefallen hatte. Vielleicht hatte sie den Prospekt deshalb aufgehoben. Immer wieder hatte sie den Flyer in den letzten Jahren in die Hand genommen und davon geträumt, wie es wäre, wenn sie den „Full Service“ in Anspruch nehmen könnte. Der Original-Flyer lag mittlerweile abgegriffen und speckig in ihrer Schreibtischschublade.
Sie griff nach der Buchungsbestätigung und wunderte sich wieder einmal über die unzähligen Seiten an Kleingedrucktem, die dem Schreiben beigelegt waren. Sie hatte diese überflogen, aber irgendwann taten ihr die Augen weh, und sie hatte die Seiten weggelegt. Das Hotel, im Departement Aquitanien gelegen, versprach alles, was man sich von einem First-Class-Hotel nur wünschen konnte: Spa-Bereiche, exotische Massagen, Restaurants, die den Gaumen mit internationalen Speisen verwöhnen wollten. Coco freute sich auf den Kurztrip und bedauerte gleichzeitig, sich nicht schon früher bei Xavier durchgesetzt zu haben. Sie brauchte Ruhe. Ruhe und Abstand von der Galerie, von Xavier und von ihrem einsamen Leben hier in Paris.
Doch das sollte sich nun ändern. Der Kurztrip würde sie ein Vermögen kosten, aber da sie in den letzten Jahren kaum dazu gekommen war, ihr Gehalt auszugeben, konnte sie nun ein wenig großzügiger sein. Coco hatte sich eine vollkommen neue Garderobe zugelegt und dann das beste Angebot dieses Hotels gebucht. Sie nahm einen Schluck Wein und betrachtete noch einmal die Front des Hotels auf der Abbildung. Nun fiel ihr auch wieder ein, um welchen Werbespot es sich damals gehandelt hatte, und sie schmunzelte. Ein Fläschchen dieses teuren Parfüms stand auf ihrem Kosmetiktischchen. Ungeöffnet, wohlgemerkt, aber das würde sich morgen ändern. Denn morgen in aller Frühe würde sie sich in ihren Mini setzen und losfahren und sich vorher ein paar Tropfen dieses edlen Dufts quasi zur Steigerung ihrer eigenen Vorfreude gönnen. Sie konnte es kaum erwarten. Ein paar Tage, fernab von allem. Und sie hatte sich selbst versprochen, jede einzelne Minute zu genießen.
3
Coco hatte ihren Koffer im Wagen verstaut und den Wohnungsschlüssel bei ihrer Nachbarin abgegeben. Seit einer Stunde befand sie sich nun auf der Autobahn in Richtung Süden. Sie fuhr gemächlich, und die Vorfreude auf ihre Auszeit machte sie kribbelig. Die Landschaft flog an ihr vorbei, und die Musik im Radio bildete den perfekten Hintergrund für den ersten Tag einer Urlaubsreise. Ihr Navigator piepste, und eine Frauenstimme meldete sich zu Wort. Coco fuhr von der Autobahn ab, und nun ging ihre Reise über Landstraßen weiter. Weite Felder, die von kleinen, niedrigen und steinernen Mauern umgeben waren, luden sie zu einer Pause ein, und in einem Restaurant an einer Rue Nationale legte Coco eine Rast ein.
Die Bedienung war leidlich freundlich, doch das Essen war gut und entschädigte für die fehlende Bereitschaft der Bedienung, sich ihr Trinkgeld redlich zu verdienen. Das Restaurant war klein und heimelig eingerichtet. Außer Coco saßen noch zwei weitere Personen an den Tischen in dem kleinen Gastraum, und sie schätzte, dass die beiden Männer Außendienstmitarbeiter waren. Einer erregte ihre Aufmerksamkeit – nicht aufgrund seines Aussehens, sondern weil sie meinte, diesen Bart schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Eine leichte Gänsehaut krabbelte ihren Rücken hinunter, und nach ein paar Minuten schalt sie sich selbst eine Idiotin, denn sie wusste, dass auch noch andere Männer als Xavier einen solchen Bart trugen. Schließlich widmete sie sich ihrem Essen. Selbst hier schien er sie zu verfolgen.
Nachdem Coco wieder aufgebrochen war, schlängelte sich die Landstraße
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