GK0196 - Die Spinnen-Königin
Seit sechs Nächten schon quälte Chuck Manners der gleiche Alptraum. Er sah sich inmitten einer urwelthaften Landschaft, durchzogen von gewaltigen Gebirgen und endlos erscheinenden Wüsten. Der Himmel über dem Land war violett, es schien keine Sonne, und die Luft war kaum zu atmen.
Chuck Manners taumelte weiter. Schritt für Schritt über das graue Lavagestein, aus dessen Spalten und Poren heiße, schwefelgelbe Dämpfe quollen.
Irgendwann tauchte die Schlucht vor ihm auf. Zu beiden Seiten wurde sie von haushohen Felswänden begrenzt, deren obere Ränder den Himmel zu berühren schienen.
Dunkel gähnte ihm der Eingang entgegen. Er erschien Chuck Manners wie der Schlund zur Hölle.
Vielleicht war er das auch! Vielleicht war das der Eingang zur Hölle, und in der Schlucht lauerte der Teufel.
Manners wollte nicht mehr weitergehen. Doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Unaufhaltsam näherte er sich dem Eingang.
Und dann hörte er das Zischen. Es war von enormer Lautstärke, bösartig, und schien die gesamte Luft zu erfüllen.
Chuck Manners Augen weiteten sich. Im Eingang der Schlucht tauchte plötzlich eine riesige Spinne auf. Mit Beinen dreimal so groß wie ein Mensch. Der graue Oberkörper wirkte wie ein riesiger Pilz mit unzähligen Haaren, die der heiße Wind bewegte wie das Gras in der Savanne. Die übergroßen Facettenaugen der Bestie schillerten in allen Farben des Spektrums.
Chuck Manners sah, wie sich die beiden vorderen Beine der Spinne vom Boden hoben, auf ihn zuschossen und ihn packten.
Chuck Manners wollte brüllen, doch kein Ton drang aus seiner Kehle.
Hoch schwebte er in der Luft, schlug verzweifelt mit den Armen um sich, spürte den alles verzehrenden Schmerz, der seinen Körper zu zerreißen drohte - und erwachte.
Schweißgebadet setzte Manners sich im Bett auf. Er hörte seinen eigenen Herzschlag trommeln, und das Blut klopfte in seinen Schläfen.
Manners mußte husten. Seine Kehle war ausgetrocknet, als hätte ein Schwamm sämtlichen Speichel aufgesogen. Chuck Manners Finger fand den Knopf der Nachttischlampe.
Er knipste das Licht an.
Die plötzliche Helligkeit blendete ihn. Er kniff die Augen zusammen, bewegte dabei die Gesichtsmuskeln und spürte das Kribbeln. Es war ein kitzliges Gefühl, so als würden seidenweiche Fingerkuppen leicht über die Haut fahren.
Chuck Manners drehte sich auf die andere Seite des französischen Bettes. Jetzt konnte er in den runden Wandspiegel blicken.
Da traf ihn fast der Schlag.
Sein Gesicht war von einem hauchdünnen Spinnennetz umwoben!
***
Chuck Manners wußte im ersten Augenblick nicht, was er tun sollte. Sekundenlang blieb er stocksteif sitzen, dann warf er die Decke zur Seite, sprang aus dem Bett, stieß sich am Türpfosten die Schulter und taumelte ins Bad.
Er drehte den Kran auf.
Wasser rauschte in das Becken.
Manners formte mit beiden Händen einen Trichter, ließ Wasser hineinlaufen und spritzte es sich ins Gesicht. Er wollte sich die gräßlichen Spinnweben abwaschen, doch das war nicht einfach. Das Zeug klebte wie Leim.
Manners nahm in seiner Hilflosigkeit Schwamm und Seife, wusch und rieb, bis die Haut puterrot war. Er zog mit den Fingern die letzten Fäden ab und spülte sie in den Ausguß.
Dann ließ er sich schweratmend auf den Rand der Wanne fallen. Aus seinen Haaren und vom Gesicht tropfte das Wasser und hinterließ feuchte Flecken auf dem Fliesenmuster.
Chuck Manners wußte nicht, wie lange er auf dem Rand der Wanne gesessen hatte. Er hatte über den schrecklichen Traum und dessen Folgen nachgedacht. Es war unwahrscheinlich, was er erlebt hatte. Das durfte er niemandem erzählen. Er hatte von diesen gräßlichen Riesenspinnen geträumt und war mit Spinnweben im Gesicht erwacht.
Das war einfach unglaublich!
Chuck Manners stand auf. Er fror plötzlich und hatte auch Durst. Er ging zum Kühlschrank und holte sich eine Dose Bier. Er nahm kein Glas, sondern trank direkt aus der Büchse.
Eiskalt rann die Flüssigkeit in seinen Magen. Manners setzte die Dose ab und griff zu den Zigaretten. Nachdenklich zündete er sich ein filterloses Stäbchen an. Und er begann zu überlegen.
Chuck Manners war ein nüchterner Mensch. Er arbeitete als Hochbauingenieur bei der Londoner Stadtverwaltung und kannte das Gesetz von Wirkung und Gegenwirkung. Dieser Traum mußte eine Ursache haben.
Aber welche?
Manners ließ die letzten beiden Wochen vor seinem geistigen Auge Revue passieren. Er überlegte, ob er irgendein entscheidendes Erlebnis
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