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Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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Wenigstens für einen Augenblick. „Ich will mein Klavier zurück! Ich will es jetzt. Heute. Sofort. Das war das Klavier meiner Mutter, und sie hat es mir hinterlassen. Es mir zu nehmen ist Diebstahl. Vater hätte nie erlaubt, dass dieses Klavier das Haus verlässt. Niemals!“
    Catrin sah, wie eine eisige Standpauke in den Zügen ihrer Gouvernante Gestalt annahm und zitterte vor dem zielsicher platzierten Gift, das sich gleich über sie ergießen würde. Ihre neue Lehrerin konnte sie so mit Worten geißeln, dass sie verwundet und zu Eis gefroren zurückblieb, betäubt und gelähmt, unfähig sich zu wehren. Dabei war Miss Colpin noch nicht einmal unhöflich. Sie kannte nur jeden einzigen wunden Punkt in der Seele ihres Schützlings und hakte ihre Klauen genau dort hinein.
    In der Tat führte Miss Colpin die verbale Klinge so geschickt, dass sie sie nun kaum mehr anwenden musste. Catrin ging schon vorher in Deckung. Ein Blick genügte meist bereits, um Gehorsam und Fügsamkeit zu erlangen.
    Diesmal allerdings rannte Catrin nicht schutzsuchend davon. Diesmal war es anders. Ihr Entsetzen und ihr Kummer hatten das Fass bis zum Rand gefüllt, und dieser letzte Streich, den ihre Stiefmutter ihr gespielt hatte, ließ es nun überlaufen. Während die gestrenge Lehrerin noch Luft holte, sah Catrin mit einem Mal rot, ihr Zorn spülte ihre Furcht fort wie eine Springflut. Sie nahm eine Blumenvase auf und warf sie schnell und einigermaßen ungezielt nach ihrer Gegnerin. Das schwere Ding verfehlte den Kopf der Lehrerin und explodierte in tausend Scherben, als es auf die Harfe prallte. Das arme Instrument kippte langsam und fiel dann um; einige Dutzend Saiten klagten und schrien disharmonisch, als es auf dem Boden aufschlug.
    Die Stille nach dem Knall sank durch die Realität wie Nebel. Als sie Catrin erreichte, begriff diese, dass ihr Mut zusammen mit der Vase zerbrochen war und mit dem abflauenden Klang der Harfe im Nichts verschwand.
    Das Instrument tat ihr leid; es hatte die Wut zu spüren bekommen, die für ihre Lehrerin bestimmt gewesen war. Ein Spalt zog sich durch den Korpus. Ihn zu sehen tat seltsam weh. Catrins Kehle zog sich zusammen, ein Zeichen nahender Tränen. Um sie herum zerbrach die Welt, und sie fühlte sich, als würde mit jener Welt, die sie einmal gekannt hatte, auch sie zerbrechen.
    Böse Augen suchten ihren Blick. Sie konnte sie fühlen und wollte sich davor am liebsten zusammenkauern, obgleich sie wusste, dass das das Letzte war, was sie tun sollte. Sie war siebzehn, die Tochter eines reichen und einflussreichen Herrn, und die Gouvernante war eine bezahlte Angestellte. Damit sollte Catrin rangmäßig über ihr stehen. Sollte, doch es war nicht so.
    Noch vor einem Jahr war sie mutig gewesen, hatte ihren Vater und die Dienerschaft, die geholfen hatte, sie aufzuziehen, mit ihren Streichen und Ideen auf Trab gehalten. Sie hatte sich nie fremd gefühlt, nie ausgegrenzt, nie unwillkommen.
    Sie hatte nie Angst gehabt. Das hatte ihr erst ihre Gouvernante beigebracht. Auch hierin war die Frau Expertin gewesen. Catrins Gemüt war allzu empfänglich gewesen, hatte ihr Warnungen geschickt von Gefahr, von schwarzer, wabernder Drangsal, die an der Grenze ihrer Existenz lauerte. Irrationale, stetig wachsende Furcht biss ihr Teile aus ihrer Kraft und ließ Catrin halbfertig und dümmlich zurück.
    Langsam, kaum merkbar hatte sich Catrin der Angst ergeben wie einem Feind. Es war nicht so, dass sie Miss Colpin je den Respekt versagt hätte, doch Respekt schien nicht das zu sein, was die Dame letztlich erwartete.
    Sie herrschte. Sie erwartete Unterwerfung, Gehorsam und Selbstaufgabe, als sei Catrin als Person gar nicht wichtig, ihr eigener Wille nicht mehr als ein vorübergehendes Ärgernis, ihre Gefühle etwas, das man unter ein Joch zu spannen hatte wie einen Zugochsen.
    In diesem einen Augenblick begriff Catrin, dass sie eine Gefangene war – in ihrem eigenen Zuhause. Sie hatte eine Gefängniswärterin und eine Kohorte an Lakaien an den Fersen, die ihrer Stiefmutter frag- und klaglos dienten. Lucilla wusste es am besten.
    Doch war die Machtübernahme der Dame des Hauses keinesfalls nach und nach erfolgt. Sie war gekommen und hatte geherrscht. Offenbar waren manche Frauen so. Sie rangen einem Respekt ab. Sie rangen einem Bewunderung ab. Sie rangen einen nieder. Die Bezeichnung „schwaches Geschlecht“ konnte auf sie nicht zutreffen.
    Gehorsam kam Catrin hart an. Sie hatte sich verändert. Von dem etwas vorlauten,

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