Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
versuchte, mehr zu fühlen. Es sehnte sich nach mehr. Sehnen verstand es. Das Sehnen war immer da. Doch Erfüllung gab es nur in kurzen, kläglichen Sekunden.
Hunger verstand es auch. Es war der Hunger nach Sinn und nach Sinnen, nach Erinnerungen und – letztlich wieder – nach Gefühlen. Es lebte von ihnen, fraß sie, verdaute die hereinströmenden Emotionen so schnell, dass ihm ihr Geschmack nur eine enttäuschend kurze Zeit fühlbar blieb.
Dann wieder war es allein und hohl und musste warten, lauern, sich Opfer suchen und den Trägern von Gefühlen nachstellen, jenen Besitzern von Glück, Liebe und Trauer.
München war eine fabelhafte Stadt. Sie war gewachsen, seit Esmalyn das letzte Mal dort gejagt hatte. Sie war noch prächtiger geworden. Die Spinne mochte Pracht. Schönheit war ein Konzept, das man sogar verstehen konnte, wenn es einem an Emotionalität mangelte. Die Stadt glänzte, summte geradezu vor geschäftigem Leben, war vom Leuchten schöpferischer Kraft erfüllt. Ein würziges, wohl gerichtetes Mahl.
Ganz das, was sie brauchten. Was die Macht brauchte, korrigierte die Spinne.
Schöpferisches für eine Schöpfung. Ein sonderbares Projekt. Das Spinnenwesen versuchte, auf seine Beteiligung an der Aufgabe stolz zu sein, doch ohne Inspiration von außen war ihm das nicht möglich. Sich indessen genau wegen dieser Unmöglichkeit frustriert zu fühlen war jedoch sehr wohl möglich. Das konnte es ohne Hilfe, doch Frustration machte nicht glücklich.
Es beschwerte sich nur selten über das Leben, das ihm zuteil war. In den vergangenen Jahrhunderten hatte es die Lust als neue sensorische Emotion entdeckt. Lust war angenehm, solange sie bestand, und schon beinahe spannend, wenn man sich darum bemühte. Es war ein Jäger und hatte einen ausgesprochenen Jagdinstinkt. Die Gefühle des Jagenden waren ihm vergönnt. Wenigstens diese waren angenehm.
Die Spinne beherrschte immer ihr Revier, und sie hatte sich unendlich zusammennehmen müssen, um den anderen nächtlichen Jäger, der in den dunklen Straßen der bayerischen Hauptstadt auf der Pirsch war, nicht anzugreifen. Der andere Feyon war jünger und schwächer. Dennoch stellte auch er eine Bedrohung dar. Sein Hunger und sein Wollen und Wünschen hatten seine Aura weithin flammen lassen – sichtbar für jeden anderen Feyon.
Das Spinnenwesen hasste Konkurrenz. Es hatte sich in die Schatten verzogen, verschmolz mit dem Dunkel, obgleich es wusste, dass sowohl Schatten als auch Dunkelheit zum Reich des anderen genauso gehörten wie zu seinem. Doch der andere war beschäftigt. Er hatte eine junge Menschenfrau gefangen, die mit ihm gegangen war, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Gerne war sie mitgegangen, freiwillig; ohne sich noch an die Regeln ihrer Welt zu erinnern, die sie banden. Sie war glücklich. Das war die beeindruckende Gabe des anderen.
Sie lächelte, als sie den anderen in die dunkle Seitengasse begleitete. Sie würde ihm das sexuelle Vergnügen bereiten, nach dem er brannte, und ihm das Blut darreichen, von dem er lebte. Vampire nannten die kurzlebigen Menschen diese besondere Art von Wesen. Die Sí nannten sie Farfola.
Subtil ging er vor. Tödlich elegant. Dunkel und geschmeidig. Schnell und entschlossen, großzügig in seinem Verlangen.
Beinahe verzaubert von der Grazie seines entfernten Verwandten beobachtete Esmalyn die Szene, während es sich halb in jenes Reich zurückzog, das zwischen den Realitäten verborgen war. Sein Vetter würde ihn sehen, wenn er sich nach ihm umsah. Die Fähigkeit mochte er sehr wohl haben. Doch wie die meisten der Na Daoine-maithe rechnete er nicht damit, seinesgleichen zu treffen. Vielleicht hatte er jahrzehntelang zu keinem Verwandten mehr Kontakt gehabt. Es gab letztlich so wenige ihrer Art, und er erwartete keine Konkurrenz. Er fuhr mit Klauen und Zähnen durch das menschliche Leben und war erfüllt von der Erfahrung, diesem Leben so weit überlegen zu sein, dass er sich um Gegenspieler nicht sorgte. Ein Mensch würde ihn jetzt nicht wahrnehmen, würde die Szene von Lust und Verderben gar nicht erst sehen.
Esmalyn sah sie hingegen deutlich. Die hübsche junge Frau hatte ihre Röcke gerafft und gewährte dem Farfola Zugang zu ihrem Geheimnis, während ihr Bewusstsein sich nur noch um die eine Sache drehte, die der Vampir sie fühlen, denken und wollen ließ. Ihr Rücken war gegen eine Hinterhofmauer gedrückt, sie umarmte den anderen mit ihren Beinen. Jung und süß war sie einen Moment lang,
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