Jenseits des Karussells: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
sind ja Hexen nötig, mein Kind, in einem Universum selbstverliebter Egozentriker. Die Welt dreht sich nicht um dich. Alles unter dem Firmament hat Sinn und Zweck. Hat dir das keiner beigebracht? Papis kleiner, verzogener Liebling zu sein ist kein Lebensinhalt. Du solltest dankbar sein, dass du ein behütetes Leben führst und so sorgsam ausgebildet wirst. Wir haben alle unsere Aufgabe, und den unbehaunen Granit deines Geistes zu formen ist die meine. Er ist nicht eben ein Karfunkel. Aber er muss auch kein wertloser Kiesel bleiben.“
Catrin merkte, dass ihr nach dieser allzu direkten Rede der Mund offenstand. Wieder war sie auf das reduziert worden, das die Frau in ihr sah und was Catty nicht meinte sein zu müssen – ein verzogenes, unreifes Balg.
„Ich hasse Sie!“, schrie sie. Sie erntete ein abfälliges Lächeln.
„Geh auf dein Zimmer und bleib da“, befahl Miss Colpin, und Catrin rannte. Sie konnte nicht sagen, wann sie losgelaufen war. Sie merkte kaum, wie sie durch die Gänge der Villa ihres Vater rannte wie ein übereifriges Schulkind, wurde sich ihrer selbst erst wieder gewahr, als sie die Tür ihres Zimmers hinter sich schloss.
Sie lehnte sich gegen die Tür und versuchte, ihr Zittern abzustellen. Warum war sie so davongestoben? Es gab nichts, wovor man fliehen musste, außer ein paar harten Worten einer Lehrerin.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Alptraumerinnerungen wanden sich um die Ränder ihres Verstandes. Vielleicht stimmte es ja. Vielleicht war sie wirklich zu kindisch, um sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden, und ihr Vater hatte das nicht gesehen, doch ihre neue Mutter schon. Mit siebzehn sollte man seine Stiefmutter und seine Lehrerin nicht mehr als Hexen bezeichnen. Das war lächerlich. Märchen hatten nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Wenn Catty nicht lernte, der Herabwürdigung durch ihre Lehrerin mit Gleichmut zu begegnen, dann brauchte sie erst gar nicht daran zu denken, es mit der Dame des Hauses aufzunehmen, die von ihrem Vater geliebt und von allen Gästen bewundert wurde, als wäre sie eine Art Großfürstin.
Kapitel 5
Das Spinnenwesen konnte nicht fliegen. Es hatte viele Begabungen, doch fliegen gehörte nicht dazu. Es konnte an der Außenkante menschlicher Wahrnehmung entlanggleiten und sie überwinden. Es konnte lotrechte Wände erklimmen. Es konnte an Decken hängend lauern und auf die arglose Beute von oben heruntersehen. Es konnte physische Gestalt annehmen oder auch nur ätherisch erscheinen. Es konnte nett sein. Es konnte furchtbar sein. Dann wieder konnte es auch ganz anders sein. Drei war seine Anzahl. Acht die seiner Beine. Es konnte von innen hinaus und von draußen hereinsehen.
Die Spinne aß, was sie jagte. Gefühle, Emotionen, Seelenstücke, Teile echter Freude und tiefer Trauer. Empfindungen und lebende Essenz menschlicher Wesen.
Köstliche Menschen.
Sie mochte ihre neuen, alten Jagdgründe, soweit es ihr gegeben war, irgendetwas zu mögen. Mögen war schwierig. Gemeinhin blieben bei der Jagd in ihrem Filter eher Gefühle wie Panik und Furcht hängen. Angst kannte sie gut und genoss sie. Panik war ein Leckerbissen. Sie hatte den Augenblick der Niederlage des Opfers millionenfach gekostet. Die Kapitulation anderer schmeckte süß und würzig. Rundherum köstlich.
Es lohnte sich, dafür eventuelles Warten in Kauf zu nehmen.
Liebe kannte sie nur als schnell vergängliches Gefühl. Die Spinne liebte, so gut es ihr eben möglich war, und diese Fähigkeit war mangelhaft ausgebildet, eher dürftig.
Sie wurde wiedergeliebt mit der Leichtigkeit und der nachlässigen Art eines alten Experten, dem sie nie ein gleichrangiger Partner sein würde. Doch selbst diese Liebe war in einem jahrtausendealten Gedächtnis, das so viele fremde Gefühle gespürt und sofort wieder verloren hatte, schwierig zu finden. Vornehmlich war das Gedächtnis nicht mit Gefühlen angefüllt, sondern mit der Erinnerung an deren schmerzlichen Verlust.
Es sollte anders sein, dachte das Spinnenwesen manchmal. Aber so war es eben. Es hatte nicht das Talent zu eigenen starken Gefühlen, doch das machte es auch unempfänglich für Schwäche. Wenn es nicht gerade in engster Umarmung mit seinem Opfer war, dann waren seine Gefühle eben nur flach und kalt und bestenfalls frustriert in der Erkenntnis, dass es da etwas gab, das es doch nicht greifen und sein Eigen nennen konnte. Der verführerische Duft eines erlesenen Banketts, den ein Bettler von außerhalb des Saales wahrnimmt.
Es
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